Samstag, 22. Februar 2025

13: Die Britin und der Danziger

Als Nella um 6 Uhr aus ihrem Bett kroch, fiel ihr wieder ein, dass heute die Disko war. Aber sie würde sich erst schminken, wenn sie gefrühstückt hatte. Schließlich wollte sie nicht so vorsichting essen müssen.

Beim Frühstück setzte sie sich auf den Stuhl neben  Stanisław, der eigentlich Gül zustand, worüber die sich im Gegensatz zu Stanisław auch viel aufregte. Er behielt zu der ganzen Sache ein gleichgültiges Gesicht und lächelte bloß gequält.
Gegenüber von ihr saß Shun zwischen Mitsuko und Rhiannon. >>Nella!<<, sagte Shun. >>Nella! Die Hochzeit ist abgesagt! Toll, nhe?<< Er strahlte über das ganze Gesicht. >>Mitsukos Eltern wissen jetzt die ganze Wahrheit darüber, wie alt ich in Wirklichkeit bin und wie wenig Geld ich habe und wie wenig ich ihnen von Nutzen sein würde. Juhu, wir heiraten nicht! Ich bin ein freier Mensch!<<
Nella reckte die Daumen empor, war mit den Gedanken aber weit weg.

Als die Disko begann, sah Nella sich nach Stanisław um. Er war sehr leicht zu finden, weil er eine graue Sportjacke über einem rot-weißen Trikot trug und verzweifelt gestikulierend auf Gül einschimpfte. Anscheinend benutzte er viele polnische Wörter, denn Gül drehte verständnislos den Kopf.
Nella kam näher, um hören zu können, was sie sagten. Da ging Stanisław auch schon von Gül weg und murmelte: >>Achhhh, Gül! Mein Gott, Jesus Maria!<< Das >sus< von >>Jesus<< sprach er mit scharfem S aus.
Gül fuhr herum und ballte die Faust. >>Jetzt reicht's aber! Allah meinst du!<<, zischte sie. Sie schüttelte den Kopf und ihr Kopftuch wehte.
Inzwischen hatten sich dem jetzt freistehenden Stanisław Vidar und Rhiannon genähert, ohne es zu wissen. Sie sahen aus wie ein Paar.
Was ist nur aus Amira-Parizad geworden?, wunderte sich Nella. Sie beobachtete die beiden, wie Stanisław übrigens auch. Ihm blieb ja schließlich auch nichts anderes übrig, wenn er von ihnen schon so eingeengt wurde.
Vidar und Rhiannon umarmten sich schamlos vor seinen Augen - fast! Denn Rhiannon riss sich aus Vidars Armen und schrie ihn an: >>Lass mich los! Ich will das nicht mehr! Ich liebe dich nicht! Du dummer, dämlicher Deutscher!<<
Vidar starrte sie fassungslos an und ließ seine schlaffen Arme auf die Oberschenkel fallen, dass ein lautes Klatschgeräusch entstand. Er sah dabei tatsächlich sehr dumm aus. >>Hä? Rhiannon! Was ist los? Ich verstehe gar nichts mehr! Hä? Hä?<<
Rhiannon wollte nichts davon hören. Zielstrebig lief sie auf Stanisław zu. >>Stanko! Stanko!<<, rief sie dabei.
Stanisławs Augen weiteten sich erschrocken. Er hob die Arme. >>Rhiannon!<< In so einem Zustand hatte ihn Nella schon lange nicht mehr gesehen. Es war, als hätte sie ihn wieder geohrfeigt. Langsam ließ Stanisław die Arme wieder sinken. >>Rhiannon...<< Er seufzte.
>>Stanko! Ich hab dich nie vergessen! Aber du wolltest nichts von mir wissen!<< Rhiannon griff seine Arme.
Stanisław erschrak. Es war das erste mal, dass dem süßen Stanko die Schuld in die Schuhe geschoben wurde.
Rhiannon fuhr in lautem, schreiendem Tonfall fort: >>Diese dummen, dämlichen anderen; ich dachte, sie helfen mir über die Enttäuschung hinweg! Aber so ist es nie gewesen! Jetzt kann ich nicht mehr, dieses ganze Spiel... Es war alles Quatsch!<< Sie machte eine kurze Pause, in der sich Nella und Vidar hinter sie stellten.
Rhiannon erzählte weiter: >>Du weißt doch, dieses eine Mal, Stanko! Du warst neu hier und sprachst noch kein Deutsch, und ich war die einzige außer meiner faulen Schwester Hope, die fließend englisch konnte, und habe dir dein Zimmer gezeigt! Erinnerst du dich noch? Seitdem hab ich dich immer geliebt, aber du hattest nur Augen für Gül und vielleicht noch Nella und so bin ich auf die falsche Bahn geraten. Ich wollte dich vergessen und habe mir einen Pony geschnitten und mir so alle Verehrer geangelt, aber es half mir nicht... Ich konnte dich nicht vergessen und ich konnte sie alle nicht lieben...<< Sie schluchzte laut auf.
Stanisław sah sie seufzend an, dann schaute er in die Ferne. >>Ja, ich kann mich erinnern. Ich weiß das alles noch. Ich war müde und konnte kein Deutsch und hatte eine lange Reise hinter mir... Ich war einfach froh, dass du englisch kontesst und nett warst. Aber ich wusste nicht, dass du mich lieben würdest, und ich habe dich auch nicht geliebt. Und du hast dich so verändert! Ich wusste nicht, warum. Ich wusste es nicht, ich wusste es nicht! Es wäre tausendmal besser gewesen, wenn ich es gewusst hätte, aber ich wusste es nicht! Ich fand, dass du eines der zickigsten Mädchen warst und habe dich natürlich vergessen... Hätte ich irgendetwas anders machen sollen?<<
Rhiannon schüttelte den Kopf und blinzelte eine Träne weg. >>Ich bin ja auch Schuld daran. Ich hab es dir nie gesagt.<<
Inzwischen war Vidar aufgesprungen und wollte Stanisław verprügeln. >>Du, du, du!<< Er fletschte aggressiv die Zähne und atmete laut. >>Du! Wenn du nicht gewesen wärst, du, du! Du bist an allem Schuld! Rhiannon hätte mich vielleicht geliebt und nicht... und nicht einen dummen dämlichen Deutschen geschimpft, wenn du einfältiger, verlogener, gerupfter Hahn nicht alles vermasselt hättest! Ich habe dich ja nie gemocht, aber... DU! Ich! Werde! Dich! Jetzt! Verprügeln!<< Er begann, Stanisław zu schlagen, zu treten und zu beißen.
>>Stopp, Vidar! Stanko kann nichts dafür<<, versuchte Rhiannon ihn zu beruhigen. >>Und ich hätte dich ohnehin nicht geliebt.<<
Doch Vidar war in seinem Wahn nicht mehr aufzuhalten. Mit schäumendem Mund und verkrampften Fingern holte er aus und kratzte Stanisław eine Narbe in die Wange.
>>Aua!<<, rief Stanisław und stemmte sich gegen Vidar, der damit nicht gerechnet hatte und nach hinten fiel, wo er leider Malwin anrempelte, der gerade mit An redete und hustend auswich. An klopfte ihm auf den Rücken, wodurch er nur noch stärker hustete. Malwin krächzte: >>Alles gut, Vidar! Ich kriege den ersten Magen-Darm!<< Er rannte gefolgt von An aus dem Raum.
Der völlig außer Gefecht gesetzte Vidar kugelte sich auf dem Boden und murmelte wirre Verwünschungen und Flüche.
>>Ich bin Britin<<, sagte Rhiannon leise. >>Vielleicht habe ich andere Gefühle als ihr Deutschen und Polen...<<
>>Wir sind alle gleich!<<, schoss es aus Nella heraus. >>Und Aluna und Amali und Lebron und An, Ling und Amy und Bert und Cecilie und Valeska und Gül und Inci und Amira-Parizad und Magnus und Midori und Shun und Mitsuko auch!<< Sie beschloss, Shun und Mitsuko zu beobachten. Leider musste sie in jedem Raum nach ihnen suchen, bis sie die beiden in dem Lagerraum für Essen fand, einem kleinen, abgeschiedenen, für die meisten unbekannten Kämmerchen neben der Küche. >>Hi Leute! Was treibt ihr hier? Ich hab das ganze Haus nach euch abgesucht!<<
>>Du störst! Geh weg!<<, rief Shun, aber als er sie sah, wurde er netter und sagte: >>Ach so, du bist's. Was ist los?<<
>>Ich will mal hallo sagen. Was macht ihr hier?<<
>>Mitsuko erzählt mir was beziehungsweise will das tun, aber sie ist noch nicht dazu gekommen, weil du dazukommst.<< Shun zwinkerte.
>>Genau! Hau ab!<<, keifte Mitsuko.
Nella wich einen Schritt zurück.
Shun sah Mitsuko an. Er verstand nicht. >>Was is'n los? Ist es so wichtig? Okay. Sorry, Nella. Zu einem späteren Zeitpunkt haben wir wieder Zeit. Bye!<< Er machte die Tür vorsichtig vor Nellas Nase zu. Doch Nella ließ nicht locker. Sie lehnte sich an die Tür und lauschte. Sie konnte hören, wie Mitsuko wieder begann zu schluchzen.
>>Was ist, Mitsuko?<<, fragte Shun irritiert und besorgt. Nella konnte sich sein fragendes Gesicht gut vorstellen.
>>Haben meine Eltern wirklich abgesagt?<<
>>Ja! Ja, Mitsuko! Stell dir das vor! Es schien so unmöglich, aber es ist passiert! Wir hatten aber auch so ein Glück!<<
>>Von wegen!<<
>>Mitsuko!<<
>>Unmöglich! Das muss ein Traum sein!<<
>>Mitsuko! Mitsuko! Was redest du da? Mitsuko! Mitsukooo! Wir haben so hart dafür gekämpft, und zwar sogar richtig gemeinsam, und jetzt faselst du so'n Quatsch? Im Ernst! Das geht doch nicht! Geht es dir eigentlich gut? What's your problem?<<
>>Ja, Shun! Als wir dafür gekämpft haben, sind wir sogar gemeinsam geworden! Als wären wir schon verheiratet und müssten für... irgendwas kämpfen! Ach Shun, ich habe einen großen Fehler gemacht.<<
>>Mitsuko! Mitsuko! Was ist los? Nani ga machigatte iru nodeshou ka?<<
>>Ich will nicht mehr, dass wir nicht verheiratet sind. Ich bin in dich verliebt.<<
>>Was? Mitsuko!!! Ich... Du... Bei Amaterasu! Mitsuko!<<
>>Ja?<<
>>Du... du... Mitsuko! Mitsuko! Mitsuko! Mitsuko! Mitsukomitsukomitsuko! Ich fasse es nicht!<<
>>Shun...<<
>>So eine gemeine Betrügerin und Verräterin und... Ach, was auch immer ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet! Mitsuko! Das ist so ein schlimmer Verrat, ich könnte mich selber töten! Das ist ein Affront, eine Beleidigung, ein Freundschaftsbruch, ein Verbrechen, einfach ein riesiger, gigantischer, gigantomanischer Skandal! Du bist in mich verliebt! Und das sagst du mir einfach so leichten Herzens geradeso mal heraus, ohne Ankündigung und ganz ohne jeden Pomp... Ich weiß nicht, was ich machen soll.<<
>>Ich auch nicht, Shun. Mit so einer Reaktion von dir hatte ich nicht gerechnet.<<
>>Du bist nicht schlau, du bist nicht mutig, du bist einfach nur die gemeinste und aller-und aller- und aller-aller-allergemeinste Betrügerin und Verräterin auf der ganzen Welt... Ich nehme alles zurück, was ich je zu dir gesagt habe! Ich könnte jetzt sofort aus dem Raum rennen und - Mitsuko!<< Plötzlich begann Shun zu weinen wie ein kleiner Junge.
>>Shun, wein jetzt nicht! Du hast völlig unrecht! Ich bin schlau und mutig und nicht gemein, du genausowenig! Beherrsch dich!<<
Aber Shun weinte einfach weiter.
Shun musste wirklich ein Blitz getroffen haben. Normalerweise rastete er ja nicht einmal aus. Nella entfernte sich von der Tür. Sie ging auf den Außenhof des Gebäudes.
An dem Zaun lehnte Stanisław, der übrigens nicht mehr die Sportjacke und das Trikot, sondern ein T-Shirt trug. Wahrscheinlich war die Disko inzwischen zu Ende.
>>Hi Stanisław!<<, rief Nella.
>>Gutes Wetter heute, nhe?<<, fragte er.
Nella schaute zum wolkenlosen, tiefblauen Sommerhimmel hoch. Es war ein warmer Tag. Stanisław hatte nicht gelogen. >>Ja...<<, stimmte sie abwesend zu.
Stanisław beobachte sie. >>Was ist... los?<<
>>Äh... Nichts! Warum?<<
>>Ich weiß nicht... Du.<<
>>Äh... So... Aha...<<
>>Du verhältst dich echt seltsam.<< Stanisław seufzte. >>Aber du brauchst mir nicht zu sagen, warum. Ich weiß es, glaube ich, selber.<<
>>Meinst du?<< Nella betastete ihre Frisur.
>>Na ja. Vielleicht liege ich ja auch falsch. Sag doch.<<
>>Nein... Wahrscheinlich liegst du schon richtig...<< Nella wollte auf Stanisław zugehen, aber bevor sie das überhaupt tun konnte, stand er schon direkt vor ihr und schüttelte sie an den Schultern. >>Was ist los? Was ist los? Wasistloswasistlos?<<
>>Hör auf, mich zu schütteln wie einen Pflaumenbaum!<<, rief Nella, doch dann lachte sie.
Stanisław hörte nicht auf. >>Natürlich tust du nur so, dass du mir was befehligen willst. Ich hab dich durchschaut. Ich weiß längst, dass du mir sagen willst, was dein Geheimnis ist. Also raus mit der Sprache!<<
>>Ich weiß nicht... Ich will es dir ja sagen, aber... aber...<<
>>Gül ist nicht in Sicht! Außerdem hab ich mich eh mit ihr gestritten und wir... sind jetzt nicht mehr zusammen! Ich hab zwar nicht Schluss gemacht, aber ich weiß es trotzdem! Und sie auch.<<
>>Warum hast du nicht Schluss gemacht?<<
>>Weil ich es gar nicht zu tun brauchte! Aber in Wirklichkeit interessiert dich das nicht. Du willst mich nur ausfragen und auf die Folter spannen, damit du deinen Teil nicht sagen musst. Los!<<
>>Nicht mit Gewalt!<<
Stanisławs Miene verfinsterte sich kurz. >>Ich habe nie in meinem ganzen Leben die Absicht gehabt, Gewalt gegen irgendjemanden anzuwenden.<<
>>Weiß ich doch.<<
>>Aber es geht ja gar nicht um Gewalt oder sowas. Sag!<<
>>Nein! Vielleicht wäre es ja ein Fehler. Außerdem hast du mich sowieso durchschaut.<<
>>Ich bin mir da gar nicht so sicher.<<
>>Wirklich nicht?<<
>>Es kann sein und nicht sein. Also... Hm?<<
>>Hm.<<
>>Hm!<< Stanisław ließ sie los.
Nella schaute sich um.
Stanisław stellte sich neben sie und lehnte sich an die von der scheinenden Sonne gewärmte Wand aus rötlichen Ziegelsteinen.
Nella tat es ihm gleich. Neben ihr wucherte Efeu.
>>Hm?<<, fragte Stanisław wieder. >>Na los!<<
Nella schwieg.
>>Na gut<<, sagte Stanisław nach einer Weile. >>Lassen wir das. Ich erzähle dir lieber was.<<
>>Aha! Dein Hm-Ding, was?<<
>>Nein, natürlich nicht. Das Thema wollen wir ja lassen. Du jedenfalls. Nein! Ich erzähle dir jetzt irgendwas ganz anderes. Wie wär's mit... Danzig! Polen! Polska!<<
>>Danzig...<< Sie verdrehte grinsend die Augen.
>>Ich komme aus Danzig<<, sagte Stanisław ernsthaft. >>Meine Eltern kommen aus Danzig. Ich bin dort geboren. Ich bin auch in Danzig aufgewachsen... Also bevor ich zu... euch kam. Den Heimern. Meine Eltern wollten eigentlich, dass ich dort bleibe, aber...<<
>>Aber?<<
>>Dann ist es eben so gekommen, wie es gekommen ist! Ich bin trotzdem zu den Heimern nach Deutschland gekommen, und jetzt... Jetzt.<< Er kramte sein Handy aus seiner Hosentasche und schaute etwas nach.
Nella versuchte, ihm über die Schulter zu linsen, doch Stanisław zog sein Handy rechtzeitig weg. >>Du hättest sowieso nichts herausfinden können, Nella. Die Nachricht war auf Polnisch.<< Er lachte.
>>Was stand denn da?<<
>>Nichts von Bedeutung. Meine Eltern haben mir geschrieben. Ich sollte... ach was. Noch ist das gar nicht wichtig für dich.<<
>>Aha? Gut... Dann...<<
>>Dann! Endlich sagst du Dann. Dann was? Dann sagst du mir, was du die ganze Zeit vertuschen willst?<<
>>Achhh...<<
>>Das sage ich auch immer! Hm? Hm, hm, hm? Ganz schön hm, nhe?<<
>>Na, das ganze Drumherumgelabere ist doch auch unnötig...<<
>>Finde ich auch. Los! Hier ist doch auch keiner außer... mir.<<
>>Das hat Vidar auch gesagt.<<
>>Fang nicht wieder mit dem Drumherumgelabere an! Du willst es doch selber vermeiden. Also... Bist du's jetzt?<<
Nella nickte stumm.
Stanisław seufzte. >>Wenn Gül nur wüsste... Aber sie wird nie wissen. Sie versteht nicht vieles. Ihr Verstand ist wirklich... begrenzt.<<
>>Wie steht es denn andersrum?<<, fragte Nella plötzlich.
Stanisław beugte sich leicht zu ihr hinunter. >>Schau in den Spiegel.<<
>>Ach so... Okay... Verstehe...<< Sie wich seinem Blick aus, damit er nicht sehen konnte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Aber Stanisław schien es trotzdem zu sehen und zu akzeptieren. Dann tastete er plötzlich die Hosentasche ab, in der sein Handy war und sein Gesichtsausdruck wurde gequält. Aber nicht so gequält, wie er es gestern gewesen war, als er mit Nella über Gül gesprochen hatte... Anders. Die Angelegenheit mit seinem Handy war ganz anders und sie quälte ihn auf eine andere Weise.
Nella warf einen sorgenvollen Blick auf sein Gesicht. Sein gequälter Ausdruck verhieß nichts gutes.
Als Stanisław eine Weile in seinen Gedanken gestochert hatte, schaute er wieder auf und lief zum Zaun. >>Do widzenia, Nella!<<, sagte er, machte die kleine Holztür auf, die im Zaun verbaut war, damit man in den Außenhof hinein- und hinausgelangen konnte und ging los, wohin auch immer. Als sie ihn nicht mehr sehen konnte, konnte Nella noch seine Stimme hören. Er schien mit jemandem zu telefonieren... Aber sie verstand nicht, was er sagte. Sie ging ins Gebäude. Nella hatte Hunger, weil sie das Mittagessen verpasst hatte. Während sie aß, dachte sie über das nach, was in der letzten Zeit passiert war. Sind wir jetzt eigentlich zusammen?, fragte sie sich. Aber so schnell geht das nicht. Ich bin immer viel zu voreilig.

Als Nella auf ihr Zimmer gehen wollte, stieß sie mit An zusammen, die gerade dabei war, ihre Koffer zu packen. Malwin packte ebenfalls seine Koffer.
>>Komm, An. Unsere Gesundheits-Kur wartet auf unsere Mägen und Därme.<<
>>Die Sonne wird uns sicher echt guttun<<, meinte An. >>Keine Ahnung, ob das bei Magen-Darm hilft, aber auf jeden Fall hat man dadurch ein gutes Gefühl.<<
>>Verreist ihr?<<, fragte Nella.
>>Ja! Wir machen eine Magen-Darm-Kur in Südeuropa!<<, erklärte An. >>Wir haben nämlich die nervige Krankheit Magen-Darm. Echt lästig, übrigens.<<
>>Genau! In diesen mediterranen Gebieten wird man bestimmt gut meditieren können!<<, fügte Malwin hinzu.
>>Ich freu' mich schon echt drauf<<, sagte An.
>>Ja! Meditation tut gut! Ihr Nesthocker müsst das auch mal ausprobieren!<<, versuchte Malwin Nella zu belehren.
>>Außerdem wird es in der Unterkunft, in der wir wohnen werden, immer ruhig sein und wenn man seinen Gedanken nachgehen will, wird man von niemandem gestört. Natürlich geht es dort vor allem um die Gesundheit<<, fuhr An begeistert fort und zwinkerte Malwin zu.

Beim Abendessen fiel Nella auf, dass Gül ihren Kopf mit großem Eifer abwechselnd in eine Broschüre über Immobilien, ein Infoblatt über Deko aus Keramik und einen Flyer über Torten steckte. Midori schaute mit und beriet sie leise. Und ab und zu rückte sie ihre grün-goldene Brille zurecht...
Das Essen, das es gab, war fad und Nella bekam wieder etwas von Amy.

Am späten Abend hörte sich Nella mit Midori, Christabel, Laurina und Bert im Gemeinschaftsraum die Bands an. Heute waren Lapislazuli und Natalya dran. Wenn sie früh fertig wären, würde Eka eventuell auch noch auftreten, aber das stand noch nicht fest.
Plötzlich bemerkte Nella, dass Christabel den Bands keine Beachtung zu schenken schien. Nella beobachtete sie.
>>Was?<<, zischte Christabel.
>>Du glotzt mich die ganze Zeit so an und hörst den Bands gar nicht zu!<<
>>Ja, du weißt aber auch, warum! Jetzt tu bloß nicht so unschuldig!<<
Midori war auf das Gespräch aufmerksam geworden und hörte mit sachlichem Interesse zu.
>>Midori... Musst du jetzt so genau zuhören?<<, fragte Nella nervös-genervt.
>>Ja, muss sie!<<, konterte Christabel.
>>Ist halt interessant! Interessanter als das, was auf der Bühne gesungen wird zumindest... Ich hab das Gefühl, dass Lapislazuli diesen Song jedes Mal singt!<< Midori schaute zur Bühne herüber, auf der sich Thilo, Ora-Magnolia, Lebron und Waldo das Mikrofon teilten.
Christabel sprang auf. Sie schlug Nella auf den Kopf.
>>Aua! Was soll das? Lass das!<<, beschwerte sich Nella.
>>Du Diebin! Ich habe immer dadrauf gewartet, dass Stanisław endlich von Gül ablässt, aber obwohl du ihn noch nicht mal gemocht hast, hast du ihn dir geangelt und mir vor der Nase weggeschnappt! Das nenne ich mal zu Recht gemein! Und das ist noch nett ausgedrückt, glaub mir! Echt!<<

Und so musste Nella mit schlechtem Gewissen und schlechtem Gefühl ins Bett.

Freitag, 21. Februar 2025

12: Ein gequältes Lächeln

Übermorgen ist Shuns und Mitsukos Hochzeit!, dachte Nella und rührte in ihrem Müsli. Plötzlich sah sie Mitsuko vorbeilaufen. Sie sprang auf. >>He, Mitsuko, halt mal an! Wo ist Shun? Und wo wart ihr gestern?<<
>>Das geht dich nichts an und es ist auch nicht interessant für dich! Es geht um die Hochzeit! Lass mich jetzt weiterlaufen!<<, sagte Mitsuko nur und lief schnell weiter.
Nella aß weiter. Mitsuko war aber komisch gewesen!

Als das Frühstück zu Ende war, ging Nella zu Gül und ihrer Gruppe, zu der Stanisław, Christabel, Midori, Laurina, Bert, Charlotte, Arvo, Natalie, Erik und seit neulich auch Eka und Waldo gehörten. >>Hi Leute!<<, rief sie.
>>Hallo<<, sagten Gül und Stanisław.
Nach 2 Minuten heißer Diskussion, was sie jetzt machen sollten, beschlossen die Freunde, in den Heimer Park zu gehen.
>>Findet ihr den H P echt so faszinierend?<<, zweifelte Gül.
>>Ja!<< Midori nickte eifrig. >>Manche Blumen, die hier wachsen, kenne ich noch gar nicht! Das da zum Beispiel sind aber Gänseblümchen und das Mohnblumen und das Lavendel und das... warte... Le... Löwenzahn! Oder? Ja.<<
>>Pflück ihn doch!<< Gül fand das Thema nicht weiter interessant.
>>Hä, wieso? Ist doch ein individuelles Lebewesen! Oh! Warte! Die Blume kenne ich ja gar nicht! Was ist das? Weiß das wer? Na, ich googel's einfach mal. Wow.<< Midori blieb vor der unbekannten Blume stehen und begann, auf ihrem Handy herumzutippen.
>>Oh, Midori, voll cooles Handy hast du! Ich mag auch immer japanische Zeichentrickfiguren.<< Nella beugte sich über Midoris Handyhülle.
>>Ja, danke... Also... Diese Blume könnte... Ist das eine Lilie?<< Midori rückte mal wieder ihre grün-goldene Brille zurecht.
Nella ging weiter, während Christabel bei Midori und der seltsamen Blume stehen blieb . >>Ich halte das eher für einen Krokus<<, hörte sie diese noch sagen.
Midori erwiderte wissenschaftlich: >>Aber der ist doch ein Frühblüher, oder nicht? Im Sommer wächst doch kein Krokus! Christabel! Eine Lilie! Na ja... Sieht auch aus wie... Na, wie heißt das nur?<<
>>Eine Grünlilie, ein Chlorophytum-Dings?<<
>>Nein, ganz sicher nicht! Das ist was ganz anderes! Da liegt ein Riesen-Unterschied vor! Aber mit dem lateinischen Namen lagst du schon richtig! Die Grünlilie ist das Chlorophytum comosum...<<
>>Ich hab Studentenfutter mitgenommen<<, erzählte Gül.
Stanisław räusperte sich und streifte sie mit einem Aha-Aha-Blick.
>>Ist doch super, oder?<<, fragte Gül unsicher.
Nella deutete mit dem Finger auf Stanisław.
>>Haa-tschi!<<, sagte Stanisław. >>Nhe? Nhe, Gül?<<
Gül schlug sich mit der flachen Hand an den Kopf. >>Ach sooo! Tut mir fürchterlich leid! Das hab ich voll vergessen!<< Sie verlor die Balance, ruderte mit den Armen, taumelte und wäre fast rücklings hingefallen, wenn Nella und Stanisław nicht gewesen wären. Die beiden fingen sie nämlich rechtzeitig auf und bewahrten sie so vor dem Sturz.
>>Oh, danke, Leute!<< Gül rappelte sich wieder auf.
Stanisław seufzte. >>Weiter geht's.<<
Die Gruppe lief weiter. (Diesmal ohne unglückliche Zwischenfälle, die wahrscheinlich von Gül verursacht werden.)
Inzwischen waren Midori und Christabel (übrigens mit der Erkenntnis, dass die Blume tatsächlich ein Lilie war) wieder dazugekommen.
Christabel versuchte dauernd, neben Stanisław zu gehen, der aber schon seinen festen Platz zwischen Gül und Nella hatte.
>>Christabel, jetzt geh mal weg! Stanisław hat hier seinen festen Platz!<<, versuchte Gül, Christabel wegzuscheuchen. Natürlich half es nicht und Christabel blieb stur. >>Jetzt lasst mich mal dazwischen! Nella ist ja eh nicht viel an Stanisław gelegen! Also!<<
Stanisław schaute zu Nella. >>So. Soso. Äh... Pff... Dann geh da einfach hin.<<
Christabel drängte Nella weg und lief an ihrer Stelle. Nella ließ sich das nicht gefallen. Christabel hatte sie schamlos und brutal geschubst! Das tat weh! Nella trat ihr absichtlich in die Hacken.
>>Aua! Hör auf, Nella!<<, beschwerte sich Christabel.
>>Dann musst du Platz machen!<<, konterte Nella.
>>Hast du doch!<< Christabel wies auf Gül, die unter einem Baum mit vielen Tauben stand. >>Hello, I'm Baum!<<, sagte die.
>>Geh da sofort wieder weg! Auf dem Baum sitzen Tauben!<<, warnte Stanisław ernst.
>>Warum?<< Gül sah hinauf in die Baumkrone. >>Die sind doch harmlos.<<
>>Ja, die picken dir schon nicht das Kopftuch vom Kopf, aber... Die haben ja auch einen Magen und einen Darm... Also ein Verdauungssystem.<< Stanisław fuhr sich mit der Hand durch die kurzen dunkelbraunen Haare. Sein Gesichtsausdruck blieb weiterhin ernst.
>>Ich verstehe nicht, Stanko!<< Gül breitete erklärend die Arme aus.
>>Achhhhh... Gül! Och Mann. Es gibt auch nicht viele Sachen, die du überhaupt verstehst.<<
Gül machte eine beleidigte Miene. >>Jetzt musst du mich aber küssen! Als Entschädigung für das, was du gesagt hast!<< Sie bot sich ihm an, verließ jedoch ihren Posten unter dem Baum weiterhin nicht.
Stanisław blieb stehen und rührte sich nicht. >>Nein! Ich gehe da nicht hin! Guano-Gefahr! Komm da raus und es geht weiter! Gül, mein Gott!<<
>>Du meinst... Ach, auch egal! Eigentlich nicht egal, aber... gut.<< Gül verzog den Mund und sammelte ein Stöckchen auf. Sie warf es hoch. Das schreckte die Tauben oben auf und sie erledigten gurrend über ihr ihr Geschäft. Gül zog ärgerlich ihr Kopftuch aus. >>Gut, dass ich noch ein Ersatzkopftuch darunter trage!<<
>>Wirklich, das konnte jetzt auch mal wieder nur der guten Gül passieren!<<, schimpfte Stanisław und machte Anstalten, weiterzugehen. Gül kam rasch zu ihm dazu. Die schlechte Stimmung verbot es den anderen, ein neues Thema anzufangen. Christabel würde sich ja gerne darüber aufregen, dass Nella sich wieder vorgedrängelt hatte, aber das ließ sie lieber sein.
Midori las auf ihrem Handy einen Artikel über die Lilie.
Notgezwungen unterhielt sich Laurina leise mit Bert über Kirschen. Bert fand das sehr gut, weil er Kirschen ja für sein Leben gerne aß.
Arvo, Charlotte, Natalie und Erik tummelten sich flüsternd auf einem Haufen. Die waren ja eh immer total abgeschieden.
Eka und Waldo waren bereits wieder auf dem Rückweg ins Haus.
Plötzlich lief die unaufmerksame Gül gegen einen Baum und fiel daraufhin in einen Graben.
Nella, Midori und Christabel lachten laut auf. Laurina, Bert, Charlotte, Arvo, Natalie und Erik stimmten in das Gelächter mit ein.
>>Hello. I'm Baum. Bye. I'm Graben<<, zitierte Nella scherzhaft.
>>Super. I'm Kirsche<<, lachte Bert.
Stanisław zog Gül stumm aus dem Graben.
>>Besser noch: He is a gentleman; rettet Baum<<, bemerkte Christabel.
>>Yes, you hast recht! Voll das kaputte Denglisch übrigens<<, kommentierte Midori.
Stanisław schwieg.
Gül lachte nervös.
Amy kam auf die Gruppe zugerannt. Sie sprintete mit Rekordgeschwindigkeit, schien aber nicht aus der Puste zu kommen. Noch im Laufen rief sie: >>Leute! Leute! Morgen ist wieder eine Disko! Bereitet euch vor!<<
>>Fängt die Disko gleich am Morgen an oder haben wir noch Zeit zum Frühstücken?<<, fragte Bert.
>>Nein, ihr könnt noch in Ruhe frühstücken. ich muss jetzt los<<, sagte Amy und spurtete los.
>>Gehen wir weiter<<, sagte Stanisław leicht ärgerlich und klopfte Gül den Schmutz von der Hose.
Nella setzte sich in Bewegung und steckte sich ein Kaugummi in den Mund.
Die anderen liefen auch weiter.
Die, die weiter hinten waren, nahmen ihre leisen Gespräche wieder auf.
>>Da! Da ist eine Hummel!<<, sagte Midori. >>Die Hummel, auf Latein bombus, ist nicht gefährlich! Oh nein! Sie ist geschwächt! Ich werde ihr helfen! Ich bringe sie jetzt an einen sicheren Ort... Sooo... Schön auf meinem Finger bleiben, kleiner Bombus, ja? Also... Gleich gebe ich ihr eine Lösung aus Wasser und einem halben Teelöffel Zucker, der sich vollständig aufgelöst haben muss, damit das Tier am besten zu sich nehmen kann...<< Sie trug die kleine erschöpfte Hummel schnell weg und verschwand mit ihr im Haus.
>>Sind da noch mehr Hummeln?<<, schrie Gül panisch und fuchtelte mit den Armen. Sie starrte in eine Hecke, weil sich dort die meisten Hummeln herumtrieben.
>>Achtung!<<, rief Stanisław, doch zu spät: Gül war war über einen Ziegelstein gestolpert und zum Glück nur auf den Kiesweg geprallt.
Stanisław verdrehte die Augen, während sie sich mühsam aufrappelte. >>Du müsstest echt ein bisschen besser aufpassen, wenn du nicht den Rest des Wegs solche Unfälle haben willst<<, sagte er.
Gül hatte keinen Schaden genommen, doch zu ihrem großen Unbehagen musste sie sich das Kopftuch neu um den Kopf wickeln.
Nella wandte sich von Gül weg und schaute zu Stanisław, der seine Hände übellaunig in den Hosentaschen vergraben hatte und seine Umgebung musterte, ohne sie richtig wahrzunehmen.
Nella hasste es, wenn Stanisław schlechte Laune hatte. Dann war er auf einmal gar nicht mehr süß und seine Umgebung hatte ebenso schlechte Laune. Irgendwie hing bei dieser Gruppe immer alles von ihm ab. Nella hatte das Gefühl, dass Gül nur dank seiner schlechten Laune so tollpatschig war - und dass Stanisław so schlechte Laune hatte, weil Gül so tollpatschig war. Sie passten einfach nicht mehr! Das war alles ein verflixter, vermaledeiter Teufelskreis, den es zu beenden galt!
Also sprach Nella Stanisław auf eigene Gefahr an. >>Warum ist Rhiannon eigentlich immer mit so vielen zusammen?<<, fragte sie mutig.
Stanisław seufzte und zuckte mit den Schultern. >>Was weiß ich? Keine Ahnung. Ich hab mich nie sehr viel mit ihr beschäftigt...<<
>>Ich befasse mich auch nicht so viel mit ihr. Vielleicht, weil sie eine Zicke ist?<<
>>Sie ist ja eine Zicke, sie ist ja eine Zicke. Aber sie macht halt nicht bei den Zicken mit.<< Stanisław schien insgeheim sehr froh über den Themenwechsel zu sein.
>>Ja, und... ach, egal.<< Nella machte eine wegwerfende Handbewegung.
Stanisław sah sich um. >>Manchmal hab ich das Gefühl, dass ihr das ganze Leben mit diesen Verehrern und Zicken und komischen Frisuren gar nicht gefällt...<<
>>Genau das wollte ich sagen! Ich hab das Gefühl, sie verschweigt etwas!<<
>>Sie ist ja eine Zicke. Die haben viele Geheimnisse. Und Amy versucht, sie herauszufinden und bekanntzugeben.<<
>>Amy. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht auch eine Zicke ist.<<
>>Nein, Amy ist keine Zicke. Das kann doch jeder erkennen, wer eine echte Zicke ist und wer nicht... Also außer den Zicken selbst. Die wissen ja selber nichts von ihrer eigenen Zickigkeit und halten sich eben nur für obercool.<<
>>Stimmt, Amy ist keine Zicke.<<
>>Amy ist nur schlau. So eine wie sie wird nämlich von allen gebraucht. Woher sollten wir zum Beispiel sonst wissen, dass morgen eine Disko ist?<< Stanisław schüttelte den Kopf.
>>Stimmt. Ich hab ganz vergessen, dass morgen eine Disko ist. Richtig, das wissen wir von Amy...<<
Stanisław schaute zu Gül. >>Gül würde natürlich total verrückt werden und durchdrehen und ganz viel Chaos anrichten, wenn sie plötzlich verspätet in den Gemeinschaftsraum kommt und wir sehen können, dass alle da eine Disko veranstalten...<<
Nella schaute auch in Güls Richtung. >>Natürlich würde sie ganz viel Chaos anrichten. Gül ist ja so ein Chaosmensch...<<
>>Aber Chaosmenschen werden ja auch gebraucht.<< Während er das sagte, nahm Stanisławs Gesicht einen gequälten Ausdruck an.
Nella schluckte.
Stanisław seufzte und drehte seinen Kopf wieder zu Nella.
>>Gül, Gül, Gül... Äh... Genau, man braucht ja Chaosmenschen<<, stimmte Nella zu.
Stanisław nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. Das stand ihm gar nicht gut. Er ließ seinen Blick über den H P schweifen.
Nella musterte Gül, um herauszufinden, ob sie die beiden belauschte. Sie schien das nicht zu tun. Erleichtert schaute sie wieder zu ihrem Gesprächspartner. Sie lief ein paar Schritte weiter.
Stanisław schaute wissend durch sie durch. Er holte zu ihr auf und war im Begriff, das Gespräch wiederaufzunehmen.
>>Also, wo waren wir stehengeblieben?<<, fragte Nella.
>>Dabei, dass man Chaosmenschen genauso braucht wie die, die nicht chaotisch sind<<, sagte Stanisław. Es klang seltsam und mechanisch und so, als würde er das nicht mit Willen, sondern aus Zwang herausbrigen.
Nella räusperte sich. Die beiden gingen schnellen Schrittes nebeneinander weiter, bis die anderen sie nicht mehr so gut verstehen konnten. Dann brach Stanisław das Schweigen mit gedämpfter Stimme. Er sagte leise: >>Ich verstehe aber nicht, wie ein Chaosmensch so tollpatschig sein kann! Ist das Absicht von Gül? Das ist langsam echt lächerlich!<<
>>Ja, ich weiß auch nicht. Mir kommt das auch sehr verdächtig vor. Aber ich hab Gül ja auch noch nie gemocht.<<
Stanisław warf einen Blick nach hinten. >>Ich schon. Ich mag sie ja auch immer noch. Aber so langsam bin ich nicht mehr so überzeugt davon, ob...<< Er senkte seine Stimme noch mehr: >>Ob ich das immer noch tun sollte.<<
>>Ich hab immer schon dran gezweifelt. Ich will ja nichts sagen, aber ihr passt eben nicht zusammen. Ganz ehrlich!<< Nella breitete erklärend die Arme aus.
Stanisław schlug die Augen nieder. >>Natürlich passen wir, aber... Dadurch, dass Gül andauernd so ungeheuer tollpatschig sein muss, blamiere ich mich! Du merkst das vielleicht nicht, aber das ist wirklich eine große, große Blamage, wenn die Freundin dauernd so tollpatschig ist und sogar noch Angst vor harmlosen Hummeln hat und und und... Ich meine... Du verstehst doch!<< Güls polnischer (noch)Freund warf die Arme hilflos in die Luft.
>>Ich verstehe sehr gut. Ich würde mich auch blamiert fühlen, wenn... jemand, mit dem ich zusammen bin, andauernd lächerlich ist!<<
>>Christabel freut sich natürlich, weil das eine Niederlage für Gül ist, aber mich betrifft dieses Problem ja auch!<< Stanisław machte eine kleine Pause. >>Ich weiß wirklich nicht, was zu tun ist.<<
>>Mach Schluss!<<
>>Nein... Ich bin ja noch... Und so ganz ohne einen Streit oder so? Das wäre Betrug. Jedenfalls würde Gül sich ganz schön betrogen fühlen. Und noch hab ich keinen Grund dazu, Schluss zu machen. Vielleicht gibt sie ihre Tollpatschigkeit ja auch wieder auf.<< Stanisław lächelte, aber es sah mehr gequält als hoffnungsvoll aus.
>>Aber mach lieber Schluss, bevor es noch zu einem Streit kommt! Das wird nicht mehr lange dauern!<<
>>Wenn du redest, hört es sich so an, wie wenn Shun redet. Kennst du ihn?<<
>>Klar kenne ich ihn. Er hat mich auch immer so beraten, wie ich es bei dir tue. Nur jetzt hat er keine Zeit mehr dazu. Er wird ja Mitsuko heiraten, ganz bald.<<
>>Schade. Wirklich schade. Es wäre besser, wenn er dich heiraten würde.<< Stanisławs Gesicht nahm einen Ausdruck an, den Nella nicht deuten konnte. Sie sagte: >>Kann sein. Ich seh' das anders.<<
>>Habt ihr euch gestritten?<<
>>Nein. Aber er heiratet ja Mitsuko.<<
>>Hast du etwas gegen die Hochzeit?<< Wieder lächelte er gequält.
>>Ja, natürlich. Sie wollen sich ja nicht heiraten.<<
Stanisław hielt inne, dann fragte er: >>Hast du ihn geliebt? Oder habt ihr euch geliebt?<<
>>Schwer zu sagen... Hm... Weiß nicht recht...<<
>>Liebt er Mitsuko? Hat er Verrat begangen?<<
>>Ich glaube nicht. Jedenfalls streitet er es immer ab.<<
>>Denkst du, dass er... deine wahre Liebe ist?<< Inzwischen war Stanisławs ganzes Gesicht von dem gequälten Ausdruck, den Nella nicht zu deuten wusste, überzogen.
>>Ich weiß nicht... Ich dachte es auf jeden Fall mal.<<
Stanisław musterte sie. Dann senkte er den Blick und sah so unglaublich gequält aus, dass Nella ganz übel zumute wurde und sie sich in jeder Hinsicht schuldig fühlte. >>Hab ich... irgendwas getan?<<, fragte sie schließlich zögerlich.
>>Ja<<, sagte der arme Stanisław und sah ihr in die Augen. >>Aber reden wir nicht darüber.<<
Nella wusste nicht, was sie sagen sollte. Also ging sie einfach weiter und Stanisław folgte ihr. Inzwischen waren sie fast wieder beim Gebäude angekommen.
>>Ich ess' jetzt was<<, sagte Nella monoton.
Stanisław wartete auf die anderen. Als sie ihn eingeholt hatten, nahm er Gül mit gesenktem Kopf bei der Hand, lächelte gequält, seufzte und ging mit ihr hinein. Als sie drinnen waren, hörte Nella ein lautes Scheppern. Höchstwahrscheinlich hatte Gül etwas umgestoßen. Nella konnte sich gut vorstellen, wie Stanisław die Augen verdrehte.
Sie merkte, dass sie gar keinen Hunger hatte. Trotzdem griff sie nach einem Apfel. Er erinnerte sie an Mitsukos Ameisen-Aktion.
Mitsuko!
Da stand sie und Shun kam auf sie zugerannt. >>Mitsuko!<<, rief er.
>>Was ist?<<, fragte Mitsuko.
>>Mitsuko!<< Shun blieb vor ihr stehen und atmete erst mal durch. Dann sagte er langsam: >>Ich hab's geschafft, Mitsuko. Alles ist erledigt. Mitsuko. Die Eltern haben sich überreden lassen. Matsu war ganz schön auf hundertachzig, aber ich... ich hab sie von der Hochzeit abgebracht. Sie ist abgesagt. Es ist geschafft! Ich hab es geschafft, Mitsuko! Komm, High Five!<< Er streckte den Arm aus und hielt ihr die Hand hin. Mitsuko klatschte ab. Dann begann sie zu lachen. >>Du hast es geschafft. Wir... müssen doch nicht heiraten. Wie gut es doch ist, wenn man noch Hoffnung hat.<<
Shun klopfte ihr fröhlich auf die Schulter, dann sprang er plötzlich wie ein Ninja in die Luft und ließ so seine Freude heraus.
Mitsuko lächelte, doch wenn sie sich nicht irrte, konnte Nella eine Spur Qual in ihrem Lächeln erkennen.
Nella ging zum Abendessen. Als sie dort an dem Tisch saß und darüber nachdachte, dass die Hochzeit abgesagt war, spürte sie einen Stich in der Brust. Und zwar ungefähr dort, wo das Herz war. Ihr Herz. Nellas Herz. Was war nur los? Nella stellte sich dieses Frage, obwohl sie genau wusste, was mit ihr los war.

 

 ****

 Als es soweit war, ging Nella schlafen. Sie hörte sich schluchzen. Aber sie hatte doch gar nicht geschluchzt! Das Schluchzen kam ganz offensichtlich nicht von ihr. Sie hatte nicht geschluchzt. Außerdem war es gar nicht ihre Stimme, die schluchzte. Sie machte die Tür auf und bemerkte, dass auf dem Flur noch Licht brannte. Am Ende des Ganges sah sie Mitsuko auf dem Boden knien... Mitsuko war es, die schluchzte. Als diese Nella bemerkte, rannte sie davon - in ihr Zimmer.
Nella sah ihr hinterher. Dann schloss sie die Tür und legte sich ins Bett.

Donnerstag, 6. Februar 2025

11: Hatschi-Brunch

Zum Frühstück gab es Aufbackbrötchen, Laugenbrötchen, Körnerbrötchen, helle Brötchen, dunkle Brötchen, Walnussbrötchen, Kartoffelbrötchen, Sesambrötchen, Haferbrötchen, Pizzabrötchen, Milchbrötchen, Schokobrötchen, Rosinenbrötchen, Chiabatta, Baguette, Weltmeisterbrot, Bergbauernbrot, Kräuterbaguette, Schwarzbrot, Weißbrot, Vollkornbrot, Croissants, normale Hörnchen, Nougathörnchen, Butterhörnchen, Erdbeer-, Himbeer-, Heidelbeer-, Orangen- und Sauerkirschmarmelade, Apfelsaft, Maracujasaft, Pfirsichnektar, Birnensaft, Bananenmilchshake, Blaubeersaft, Multisaft, O-Saft, kalten und warmen Kakao, Babychino, Capo Chino, Chai Latte, Milchkaffee, Macchiato, Pfefferminztee, Erdbeertee, Früchtetee, Ingwertee, Süßholztee, Chai, Zitronentee, Eistee, Rooiboschtee, Haferflocken, Cornflakes, Haferpops, Schoko-Müsli, süße Getränke, Limo und Wasser mit- und ohne Kohlensäure. Außerdem gab es allerlei Käsesorten, Butter, Margerine, Wurst, Leberwurst, Quark, Frischkäse, Salami und Schinken.
Nella saß zwischen Stanisław und Amy, die ihr von ihrem chinesischen Essen etwas abgab. Neben Amy saß Eka und neben ihr Waldo.
>>Ey, Eka! Malwin sitzt neben mir!<<, flüsterte Waldo Eka ins Ohr.
>>Ist das besonders? Neben wem sitz er sonst immer?<<, raunte Eka.
>>Natürlich ist das besonders! Er hat sich offenbar gebessert!<<
>>Woran erkennst du das?<<
>>Na, er sieht nicht mehr so böse aus! Er ist halt besser geworden!<<
>>Stimmt, er isst mit Messer und Gabel! Vorher hat er immer nur mit dem Messer gegessen!<<
>>Stimmt. Oho. Er sollte das gefälligst immer so machen.<<
Nella freute sich. Malwin hatte sich offenbar tatsächlich gebessert!
Nella hatte keinen Hunger mehr. Sie schob ihren Teller weg. Warum hatte sie nur keinen Hunger mehr? Amys Sachen waren doch total lecker! Na, egal, dann hatte sie eben keinen Hunger. Nella sah sich um.
Carla stach heute besonders aus der Gesellschaft heraus. >>Leute, heute ist für mich ein großer Tag!<<, verkündete diese gerade. Sie glättete ihre neonorangene Glitzerjacke. Dann fuhr sie fort: >>Heute mache ich ein großes Experiment. Ich vermische eine Zwei-Liter-Flasche Cola mit einer Zwei-Liter-Kanne Kaffee und trinke die beiden aus. In einem Zug. Wer es mir nicht glaubt, muss es selber testen.<<
>>Cool!<<, rief Ling. >>Ich mach' dich nach!<< Sie vermischte ihren Pfirsichnektar mit Kaffee. >>Bäh!<<, sagte sie, als sie einen Schluck getrunken hatte. >>Das ist voll ekelhaft!<<
Carla hatte ihr Experiment inzwischen begonnen. All ihre Freundinnen sahen gebannt zu. Als sie die 4 Liter in sich hineingesogen hatte, schrie sie: >>Aaaaaahhhh! Ich mach' das nie wieder! Ist aber voll cool!<< Carla rannte zum Klo. >>Ich übergeb' mich gleich!<<
Ora-Magnolia folgte ihr und filmte sie. >>Super, Carla! Ich poste das auf deinem Kanal! Ich hab dich heute von Anfang an gefilmt, weil ich wusste, dass du heute was krasses machen würdest! Deine Follower werden das echt super finden!<<

>>Also ich finde das nicht so super<<, kommentierte Nella. Sie verzog die Mundwinkel.
Plötzlich kam ein lautes, blubberndes, ekliges Geräusch aus der Toilette. >>Wooooaaaahhhh! Hilfe!<<, dröhnte Carlas Stimme aus dem Klo.
>>Hast du dich übergeben? Alles gut, Carla?<<, schrie Roxana.
>>Ja, ich hab gekotzt!<<, gluggerte Carla. >>Ich hatte dann voll viel Kotze am Mund und wollte die abwaschen, aber dann ist noch mal 'ne Ladung runtergekommen und ich hab mich voll verschluckt!<<
>>Iiiiiiiiiih! Caaaaarlaaaa!<<, kreischte Roxana.
Stanisław schaute Gül kopfschüttelnd an. >>Die sind nicht ganz klar im Kopf, findest du auch?<<, sagte er.
>>Ich glaube, ganz klar im Kopf sind die schon. Aber die sind nicht ganz normal<<, meinte Gül.
Als Carla wieder am Tisch saß, hatte sie nicht mehr ihre neonorangene Glitzerjacke an.
>>Was ist mit deiner teuren 1-A-Jacke passiert?<<, fragte Ahuva, während sie ihre Cola schlürfte.
>>Pack' die Cola weg! Ich kann Cola nicht mehr riechen! Meine Jacke hab ich ins Klo geworfen! Die hat mich total behindert! Außerdem war die eh schon vollgekotzt!<< Carla strich sich jetzt anstatt ihrer Glitzerjacke ein einfaches, glattes T-Shirt glatt. Ora-Magnolia filmte immer noch alles.
>>Sind meine Haare schmutzig?<<, fragte Carla.
>>Nö. Sie sind noch dunkelbraun und lockig, also normal<<, sagte Ora-Magnolia.
>>Nein, ich meinte: Haben die auch Kotze abbekommen?<<
>>Glaube nicht. Siehst du da was, Thilo?<< Ora-Magnolia schaute zu Thilo.
Thilo schüttelte den Kopf.
Carla band sich einen Zopf. Ein paar Strähnen ließ sie jedoch eitel heraushängen. Dann ging sie mit Ahuvas Cola zur Toilette, um sie ins Klo zu schütten.
>>Du kannst ja statt Cola mal Pfirsichnektar trinken<<, sagte Ling zu Ahuva. >>Auch voll gut.<<
>>Okay, ich werd's mal probieren. Aber ich bestehe drauf: Cola ist trotzdem besser.<<
>>Carla hält die Cola jetzt aber nicht mehr aus.<<
Carla kam gerade vom Klo zurück und setzte sich auf ihren Stuhl. Sie winkte Ora-Magnolia näher an sich heran. Sie lächelte in die Kamera und winkte. >>Okay, dann also bis später, Leute! Das war 'ne echt krasse Action! Und liket weiter meine Videos! Tschaui!<<
Ora-Magnolia tippte auf den roten Kreis und beendete so das Video. Dann gab sie Carla das Handy. >>Jetzt kannst du das Video nachbearbeiten.<<
>>Ja, super! Das mache ich jetzt!<<
Nella fiel auf, dass Shun und Mitsuko fehlten. Wo waren sie bloß? Heirateten sie schon jetzt? das konnte doch nicht sein! Sie hatte sich das Datum auf der Karte genau gemerkt. Das war nicht heute! Aber wo waren sie dann? Trafen sie Vorbereitungen für die Hochzeit? Das war möglich. Oder sie besuchten Mitsukos Mutter Matsu.
Vidar und Amira-Parizad zeigten Stanisław, Gül und Amy ein Video, das sie aufgenommen hatten, als sie bei Carola-Lees Beerdigung gewesen waren. Nella und Malwin versuchten, mitzugucken. >>Carola-Lee<<, murmelte Malwin. >>Die tote Carola-Lee.<< Und nur Nella verstand, warum er das sagte. An hätte es auch verstanden, aber sie hörte es ja nicht.
Gül rieb sich die Augen. >>Ich kann das nicht mehr weitergucken. >>Wollen wir bei den Wettessen mitmachen, das Midori, Christabel, Laurina, Bert, Charlotte, Arvo, Natalie und Erik gerade machen, Stanko?<<
>>Ja!<<, sagte Stanisław. >>Leute, können wir mitmachen?<<
>>Ja, natürlich!<<, rief Christabel. >>wir brauchen noch viel mehr Leute, die mitmachen!<<
>>Leider ist ein Wettessen nicht sehr gesund<<, erklärte Midori. >>Aber solange man es nicht den ganzen Tag lang macht, kann es keinen wirklich großen Schaden anrichten und der Körper bleibt noch gesund. Wettessen sind trotzdem nicht natürlich und leider auch nicht empfehlenswert. Weil man aber Spaß daran hat, hat man davon noch einen Nutzen. Spaß ist nämlich wichtig.<<
>>Mir ist es ziemlich egal, ob das Wettessen gesund ist oder nicht. Es wäre aber nicht schlau, jetzt noch ein neues zu starten. Wir haben nämlich schon eine Stunde gefrühstückt<<, gab Gül nach einem Blick auf die Uhr zu bedenken.
>>Dann machen wir eben einen Brunch draus<<, sagte Christabel.
>>Gute Idee!<<, meinte Stanisław. >>Ich mache gerne bei dem Wettessen mit!<<
Christabel lächelte triumphierend. Dann schlug sie vor, mit dem Essen nach draußen zu gehen und eine Art Picknick-Brunch zu machen.<<
>>Auch sehr gute Idee! Das Wetter wird immer sommerlicher!<<, sagte Stanisław.
Gül räusperte sich und warf ihm einen fragenden Blick zu. Währenddessen trat sie sanft auf Christabels Fuß.
Stanisław verstand nicht und zog sich die Schuhe an.
Gül seufzte und tat es ihm gleich.
Als alle draußen waren, war Güls Gram verflogen und sie breitete die Picknickdecke auf einer kleinen Wiese aus. >>Los, packt das Essen aus!<<, rief sie fröhlich den anderen zu. Die meisten hatten damit übrigens schon begonnen. So auch Nella, die gerade von einer Fliege belästigt wurde. >>Weg! Weg!<<, schrie sie und versuchte, die Fliege zu verscheuchen. Die Fliege bekam es mit der Panik zu tun und flog auf eine Tasche neben Gül zu. Die fuchtelte wild mit den Armen und schlug nach dem armen Tier, doch ihre Hand traf in die Tasche, in der Rosinenbrötchen gelagert waren. Sie rollten heraus. Stanisław musste mehrmals niesen, denn er hatte ja eine Rosinenallergie.
>>Oh! Tut mir leid!<<, riefen Gül und Nella wie aus einem Mund. Stanisław wollte etwas sagen, aber er konnte nicht mehr aufhören zu niesen. Gül beäugte Nella böse, während Stanisławs verkrampfter Niesanfall immer heftiger wurde. Gül stellte sich neben ihn und Stanisław holte eine Packung Taschentücher aus seiner Hosentasche. Er hielt sich ein Taschentuch vor die Nase und nieste mehrmals hinein. Gül ging mit ihm weg. >>Du musst wissen, dass ich das nicht beabsichtigt habe. Das war Nella!<<, versicherte sie ihm.
>>Ja<<, sagte Stanisław knapp, dann nieste er wieder.
>>Ich glaube, wir müssen jetzt schleunigst zur Apotheke<<, riet Gül und kratzte sich am Kinn.
Stanisław machte wieder >>Ja<< und nieste weiter. Dann waren sie außer Sicht- und Hörweite.
Das war nicht ich, das war die Fliege!, versuchte sich Nella zu beruhigen.
>>Stanisławs Rosinenallergie ist sehr stark! Wenn er sie zu oft im Monat hat, besteht Lebensgefahr! Das war extrem unvorsichtig von dir!<<, behauptete Christabel. Sie schaute sie kritisch an.
>>Ich verstehe das nicht, Christabel!<<, sagte Nella. >>Stanisław ist doch längst mit Gül zusammen! Warum bist du immer noch eifersüchtig?<<
>>Weil Stanisław und Gül nicht zusammen bleiben werden! Sie sind einfach zu unterschiedlich!<<, erklärte Christabel.
Malwin war zum Brunch mitgekommen. Er hatte sich in den Schatten eines Baumes gesetzt und seine Augen sahen einfach durch die Umgebung hindurch.
>>Was ist los?<<, fragte ihn Nella.
>>Musst du mich jetzt aus meinen Gedanken reißen?<< Malwin klang plötzlich sehr sauer. An, die das gehört hatte, drehte sich zu ihm um.
>>Ich denke gerade an Carola-Lee, an die tote Carola-Lee! Du durftest mich gerade nicht stören! Ich habe sie gerade vor mir gesehen! Sie war vor mir! Sie war vor mir! Carola-Lee war vor mir! Als wäre sie real, hat sie vor mir gestanden! Begreifst du jetzt? Und durch dich ist sie wieder verschwunden, durch deine dämliche Frage!<< Malwin sprang auf und lief auf Nella zu.
>>Oh nein! Er hat einen Rückfall von Bosheit!<<, stellte Nella schnell fest.
>>Genau! Weil du mir Carola-Lee gestohlen hast! Du hast sie aus meinen Gedanken getötet!<<, rief Malwin in seinem Wahn. Er versuchte, sie von hinten zu würgen. Nella raffte ihre Schultern und zog ihr Kinn nach unten, schlug ihn nach hinten und sprang nach vorne, als er kurz losließ. Malwin krachte nach hinten gegen den Baum und verlor für kurze Zeit das Bewusstsein.
Nella hatte Durst. >>Hast du Apfelsaft?<<, fragte sie Amy. >>In der Kantine war der Apfelsaft schon leer, deshalb hab ich einen aus meinem Zimmer geholt, ich weiß aber nicht, ob der noch gut ist..<<, erklärte Amy und gab Nella eine kleine Flasche.
>>Egal, ich hab voll Durst.<< Nella trank die Flasche in einem Zug leer. >>Komisch, der schmeckt... Aaahhh! Äh, der schmeckt nicht nach Apfelsaft! Hat einen voll scharfen Nachgeschmack!<<, rief Nella.
>>Oh! Kein Wunder, das ist Ingwer-Antibiotikum! Sorry, Nella! Da hab ich wohl nicht so auf das Etikett geachtet, von der Farbe her sah es halt voll aus wie Apfelsaft. Ups, tut mir leid.<<, erklärte Amy und hielt Nella die leere Flasche mit dem Etikett hin. >>Na, zumindest ist das Gebräu gesund.<<, fügte Amy dann hinzu. Sie lachte nervös.
Nella nickte mit zusammengepressten Lippen. Schaaaaaaarf!!!, dachte sie.
Amy entfernte sich.
Gül und Stanisław kamen von der Apotheke zurück. Stanisław nieste immer noch.

>>Wir haben kein Mittel gefunden! Stanisław ist anscheinend der einzige auf der Welt, der eine Rosinenallergie hat<<, sagte Gül.
>>Ja<<, sagte Stanisław und nieste.
>>Vielleicht hilft euch das?<<, fragte Amy und hielt Stanisław eine Flasche mit Ingwer-Antibiotikum hin.
>>Ich glaube nicht, dass das hilft! Das sieht aus wie ein böser Zaubertrank, nicht wie ein offizielles Medikament!<<, sagte Gül.
Midori wendete ein: >>
Nasensprays oder Augentropfen mit Wirkstoffen wie Azelastin und Levocabastin sind bei akuten Beschwerden wie Fließschnupfen, Juckreiz oder tränenden Augen sinnvoll. Antihistaminika hemmen H1-Rezeptoren an den Schleimhautzellen und verhindern so, dass der entzündungsfördernde Botenstoff Histamin dort andockt.<<
>>Schön und gut, aber ist das auch bei Rosinenallergie gut?<<, fragte Gül.
>>Es tut mir sehr leid, dass ich diese Frage nicht beantworten kann<<, sagte Midori. >>Wahrscheinlich aber schon. Du kannst es aber trotzdem mit dem Antibiotikum von Amy versuchen. Es ist sehr gesund und wird nicht schaden können. Außerdem fördern Antibiotika das Immunsystem. Ingwer und Kurkuma sind sehr gut für den Körper.<<
>>Ich kenne schon 3 Fächer, die du studieren wirst<<, kicherte Gül. >>Medizin, Physik und Naturwissenschaften.<<
>>Stimmt! Ich interessiere mich wirklich dafür!<<, sagte Midori.
>>Also: Was sollen wir jetzt mit Stanisław machen?<<, fragte Gül.
>>Gib ihm erst mal das Antibiotikum. Habt ihr in der Apotheke wirklich nichts gutes gefunden?<< Midori nahm Amy das Ingwer-Antibiotikum aus der Hand und gab es Gül.
>>Achtung! Das Antibiotikum hat einen sehr scharfen Nachgeschmack!<<, warnte Nella.
>>Pfff! Du hast das Antibiotikum doch noch gar nicht probiert! Der Deckel ist noch zu!<<, sagte Gül. Sie streckte die Hand abwehrend aus.
Stanisław nieste weiter, während er aus der Flasche das Antibiotikum trank.
>>Ich glaube kaum, dass dieses komische Antibiotikum Stanisław weiterhilft<<, kommentierte Christabel.
>>Wir müssen es... Haaaa-tschi! versuchen, hatschi!<<, machte Stanisław und trank die Flasche niesend leer.
Gül legte ihm die Hand auf die Schulter. Ihr Gesichtsausdruck war sehr sorgenvoll.
Christabel fand das sehr verantwortungslos. >>Was stehst du da so untätig rum, du Hatschibratschi?<<
>>Ich und untätig? Na, was soll ich denn auch machen?<<
>>Vielleicht die Flasche auffangen, die dir Stanisław gerade zuwirft? Na bitte, sie ist auf dem Boden gelandet.<< Christabel verschränkte die Arme vor der Brust.
Gül beugte sich ungeschickt zu der Flasche und hob sie auf.
Stanisław nieste 20 Mal pausenlos hintereinander, dann hörte sein Niesanfall auf.
Gül sprang in die Luft, verlor die Balance und krachte nach hinten. Stanisław lachte und half ihr auf. Christabel machte einen Schritt nach hinten. Schließlich hatte sie sich einen ganzen Meter entfernt.
Nella fand die ganze Bande lustig. Die tollpatschige Gül, die wissenschaftliche Midori, die eifersüchtige und kritische Christabel und den netten Stanisław mit der Rosinenallergie. Stanisław war bei weitem nicht mehr so süß, wie er es einmal gewesen war, aber auch seine Nachteile hatten nachgelassen. Er stellte keine Fragen mehr und sprach nicht mehr so oft polnisch, aber er mied sie nicht mehr und sie hatte keinen Grund mehr, ihn oberschlau zu finden. Er war nur eben von intelligenter Natur. >>Okay, Leute, wollen wir jetzt das Wettessen machen?<<, fragte Nella.
>>Wettessen? Das Wettessen? Welches Wettessen? Natürlich nicht! Stanisław kann da ja nicht mitmachen!<<, sagte Christabel.
>>Außerdem ist es ja nicht gesund<<, erklärte Midori und trank einen Schluck Wasser aus einer Flasche.
>>Genau. Es hat nur Nachteile. Es ist nicht gesund und es ist schlecht für Stanisław<<, meinte Gül. Sie grinste schadenfroh.
>>Dann eben nicht. Ich dachte ja nur so<<, sagte Nella.
>>Übrigens, Nella<<, wandte sich Midori an sie, >>hättest du Interesse daran, in meine Band einzutreten? Wir würden dich gegen Roxana tauschen. Sie will eventuell austreten und einer anderen Band beitreten. Carla will nämlich eine Band eröffnen und Roxana will lieber da bei ihr sein als bei uns. Meine Band ist >Aphrodite<. Da machen noch Laurina und Christabel mit. Und ich natürlich. Willst du?<<
>>Ja, cool! Tretet ihr oft auf?<<
>>Mittel. Ungefähr ein- bis zweimal in der Woche.<<
>>Gut, ich mache mit.<<
>>Super! Ich sage das kurz Laurina und Christabel. Also nur Laurina. Christabel hat's ja schon gehört.<<
Laurina war einverstanden. Christabel auch.
>>Wir können heute schon einen Song schreiben, aber heute haben wir keinen Auftritt mehr. Hätte ich dir ja sonst auch schon gesagt<<, erklärte Midori. >>Normalerweise schreiben wir den Song immer zusammen, aber wenn du nicht mitschreiben willst, kannst du uns auch einfach sagen, ob du mit ihm einverstanden bist. Also wenn er fertig ist.<<
>>Ich schreibe natürlich mit.<<
>>Gut! Jetzt? Oder später?<<
>>Jetzt natürlich! Wir schreiben den Song jetzt!<<
>>Dann müssen wir ihn noch üben und morgen oder übermorgen treten wir auf. Kommt drauf an.<<
>>Wir können ja auch mal einen deutschen Song machen<<, schlug Christabel vor und schnappte sich einen Notizblock.
Midori holte ein paar Campingstühle und setzte sich neben Nella. >>Meistens schreiben wir die Songs sowieso auf Deutsch und übersetzen sie dann mit einer Übersetzungs-App auf dem Smartphone auf Englisch<<, flüsterte sie ihr zu. >>Verstehst du? Ist ein bisschen einfacher. Die anderen machen das wahrscheinlich nicht so.<<
>>Worum soll es in dem Songs denn so gehen?<<, fragte Christabel und klapperte mit ihrem Kuli.
>>Eine Beziehung<<, sagte Laurina. Sie holte einen einklappbaren Tisch und stellte ihn auf, damit Christabel besser schreiben konnte und die anderen sich mit den Ellbogen auf ihn stützen konnten.
>>Über deine mit Bert? Über die unbekannten von Nella? Über Christabels mit... Gül und Stanisław?<< Midori spielte an ihrer grün-goldenen Brille herum.
Laurina sah sich um. >>Über meine mit Bert. Nein, wir müssen schon nicht die nehmen. Wir können uns auch einfach eine ausdenken.<<
>>Gute Idee. Ich hab zurzeit sowieso keinen Freund<<, sagte Midori zufrieden.
>>Ja, immerhin eine bessere als meine jämmerliche mit >Gül< und Stanisław.<< Christabel verdrehte die Augen.
>>Mit wem bist du denn eigentlich?<<, fragte Laurina plötzlich Nella und klimperte an ihren goldenen Armbändern herum.
>>Offiziell mit Shun... Wie Carla.<<
Midori rückte ihre grün-goldene und Laurina ihre goldene Brille zurecht. >>Offiziell? Mit wem bist du denn inoffiziell?<<, fragte Laurina.
>>Außerdem ist Shun doch mit Mitsuko verheiratet, oder nicht?<<, warf Midori ein.
>>Er ist nur mit ihr verlobt, nicht aber verheiratet. Na ja, ich bin halt nur offiziell mit Shun zusammen, weil offiziell auch nur ich in ihn verliebt bin und ich es inoffiziell auch gar nicht mehr so richtig bin und so weiter. Ist halt sehr kompliziert.<<
Midori stützte den Kopf in die Hand. >>Ist dir aufgefallen, dass Shun und Mitsuko heute beide fehlen?<<
>>Ja, das ist mir aufgefallen. Aber die Hochzeit ist noch nicht heute.<<
>>Okay, genug gequasselt. Wir schreiben jetzt den Song<<, entschied Christabel.
Midori nickte. >>Stimmt. Wollten wir ja machen.<<
>>Gut. Also über welche Beziehung schreiben wir jetzt?<< Christabel kippelte mit ihrem Stuhl.
>>Na über die ausgedachte<<, sagte Midori.
>>Und wer von uns soll die Beziehung haben?<<, hakte Christabel nach.
>>Wir sind alle in einen Jungen verknallt!<<, rief Laurina.
>>Nella, bist du einverstanden?<< Midori legte den Kopf schief, wodurch sie noch schlauer aussah.
>>Ja. Aber wenn wir alle auf einen stehen, was passiert denn da noch?<<
>>Unsere Freundschaft explodiert<<, erklärte Midori. >>Oder, Laurina?<<
Laurina nickte so heftig, dass ihr aschblonder Pferdeschwanz wippte. >>Und wenn wir dann alle herausfinden, dass er total schnöselig ist, sind wir erst mal alle sauer, aber dann werden wir wieder Freunde und können nicht anders als darüber zu lachen.<<
>>Und welchen Jungen meinen wir mit dem Schnösel? Ist ein Junge das Beispiel von ihm?<<, wollte Midori wissen.
>>Ich hab mir das jetzt nur so ausgedacht. Bert ist natürlich kein Schnösel<<, versicherte Laurina.
>>Stanisław ist besser auch nicht das Vorbild<<, meinte Christabel und fummelte immer noch an ihrem Kuli herum.
>>Wir sitzen hier rum und es ist schon 2. Wir müssen uns schnellstens was ausdenken!<<, panikte Midori plötzlich.
>>Ja, gut, dann nehmen wir eben Bela. Von dem will in echt ja auch keiner von uns was. Und er ist schnöselig und eingebildet<<, beschloss Nella.
>>Sehr gut!<<, sagte Midori. >>Auf Bubi trifft das nicht zu. Ich kenne ihn. Er ist nich besonders schnöselig, nur eben nicht der hellste. Und überhaupt nicht besonders.<<
>>Okay. Dann starten wir jetzt. Wie fängt's an?<<, fragte Christabel ungeduldig.
Es fing an zu regnen. Nella, Midori, Christabel und Laurina zogen nach drinnen um. Die Brunch-Leute waren sowieso nicht mehr draußen.
>>Es kann ja auch mit Regen beginnen<<, sagte Laurina griesgrämig und schaute auf ihre teilweise nassen Haare herab.

Als der Song fertig geschrieben war und sie 2 mal geübt hatten, hallte die Melodie in Nellas Kopf noch leise nach, während sie in ihr Zimmer ging.
>>Ich sitze im Regen
Und Bela steht da
Mit Ahu-u-uva
Im Schlepptau
Bela fährt sich mit der Hand durch die Haaaare
Und lächelt sie an
Und ich sitze hier nur im Regen
Und komme nicht an ihn heran
Doch!
Er lächelt auch zu mir herab
Aber sein Herz lächelt nicht mit
Und er wendet sich wieder von mir ab
Und das alles nur wegen dieser Ahu-u-uva!
Igitt!
Und Stanisław steht da und schaut mich blöd an
Er geht zu Gül und ist mich los
Und Gül zieht ihn in ihren Bann
Och Mann!
Und Bert steht da und versteht mich nicht
Er geht zu Amy und sagt's ihr
Und ich verliere mein Gesicht
Och Mist!
Und Shun steht da und schaut ins Leere
Er geht zu Mitsuko und heiratet sie
Und gleich danach fliehen sie über die Meere
Och!
Und meine Freunde stehen da voller Eifersucht
Sie werden mich immer hassen
Und da ist vor mir eine tiefe Schlucht
Och, sie haben mich alle verlassen
Und ich sitze im Regen
Von allen verlassen
Weil ich nicht merke, dass Bela ein Schnösel ist
Und sie sitzt da im Norden und sie im Osten und sie im Westen
Und ich sitze im Süden
Wir tun so, als würden wir uns hassen
Und wären von aller Welt verlassen
Wir tun so, als würden wir Bela lieben
Und wären umgeben von drei anderen Dieben
Alles dumm und fake
So dumm und fake
Denn jetzt sitzen wir auf'm Sofa und essen Lavacake
Und wir können nur darüber lachen
Und alles zusammen machen
Denn wir sind ein Team
Christabel!
Laurina!
Nella!
Midori!
Wir sind
A-ma-te-rasu, Amaterasuuuuuu!
A-phro-di-te! Schon vergessen?
Oooops!
A-PHRO-DITE<<
Nella machte sich auf den Weg zu Amy. Sie traf im Flur auf sie. >>Hi Amy! Kann Aphrodite morgen noch spontan eingeplant werden? Du weißt über sowas doch immer bescheid.<<
>>Morgen wäre ein Platz frei... Oder heute. Heute gibt es Band-Mangel. Ihr könnt auch heute machen. Machst du da jetzt mit?<<
>>Ja, ich mach' da jetzt mit. Und Roxana macht da nicht mehr mit. Sie ist zu Carlas neuer Band gegangen.<<
>>Weiß ich doch schon.<<
Nella lief zu Midori und Co. >>Heute ist auch noch ein Platz frei! Wir können auch schon heute auftreten<<, erklärte sie.
>>Gut. Dann müssen wir jetzt noch mal üben, würde ich sagen. Mehr schaffen wir nicht. Dann müssen wir uns schon umziehen und schminken<<, sagte Midori.
>>Okay.<< Und Nella verschwand im Bad. Nach einer Weile kam sie zu den anderen, die sich auch schon umgezogen hatten. Sie übten noch einmal.
Zuerst sangen sie alle zusammen:

>>Ich sitze im Regen
Und Bela steht da
Mit Ahu-u-uva
Im Schlepptau
Bela fährt sich mit der Hand durch die Haaaare
Und lächelt sie an
Und ich sitze hier nur im Regen
Und komme nicht an ihn heran
Doch!
Er lächelt auch zu mir herab
Aber sein Herz lächelt nicht mit
Und er wendet sich wieder von mir ab
Und das alles nur wegen dieser Ahu-u-uva!
Igitt!<<

Dann sang Christabel mit kolumbianisch-spanischem Akzent ihren Teil:
>>Und Stanisław steht da und schaut mich blöd an
Er geht zu Gül und ist mich los
Und Gül zieht ihn in ihren Bann
Och Mann!<<

Nach ihr war Laurina mit ihrem Teil dran:
>>Und Bert steht da und versteht mich nicht
Er geht zu Amy und sagt's ihr
Und ich verliere mein Gesicht
Och Mist!<<

Nella machte weiter:
>>Und Shun steht da und schaut ins Leere
Er geht zu Mitsuko und heiratet sie
Und gleich danach fliehen sie über die Meere
Och!<<

Midori sang ihren Teil mit japanischen Akzent:
>>Und meine Freunde stehen da voller Eifersucht
Sie werden mich immer hassen
Und da ist vor mir eine tiefe Schlucht
Och, sie haben mich alle verlassen!<<

Dann sangen sie wieder alle gemeinsam:
>>Und ich sitze im Regen
Von allen verlassen
Weil ich nicht merke, dass Bela ein Schnösel ist
Und sie sitzt da im Norden und sie im Osten und sie im Westen
Und ich sitze im Süden
Wir tun so, als würden wir uns hassen
Und wären von aller Welt verlassen
Wir tun so, als würden wir Bela lieben
Und wären umgeben von drei anderen Dieben
Alles dumm und fake
So dumm und fake
Denn jetzt sitzen wir auf'm Sofa und essen Lavacake
Und wir können nur darüber lachen
Und alles zusammen machen
Denn wir sind ein Team!<<

Dann sangen sie alle ihren jeweiligen Namen. Zuerst Christabel, dann Laurina, dann Nella und zum Schluss Midori. Danach sangen sie zusammen:
>>Wir sind<<
Midori sang dann voller (gespielter) Inbrunst und Überzeugung:
>>A-ma-te-rasu, Amaterasuuuuuu!<<,

woraufhin die anderen sie korrigierten:

>>A-phro-di-te! Schon vergessen?<<

Midori sang dann noch mal:

>>Ooops!<<
Dann sangen sie zusammen:
>>A-PHRO-DITE!<<
Das machten sie auch auf der Bühne so.

Als sie fertig waren, zog sich Nella um. Auf der Bühne hatte sie das Set von der Disko vor ein paar tagen getragen.
Nella konnte sich noch gut erinnern, dass Malwin am lautesten geklatscht hatte. Seit seiner Besserung war das ja nicht verwunderlich.

Nella ging ins Bett.

Mittwoch, 5. Februar 2025

10: Von Katanern und uvae passae

Zum Frühstück hatte es Müsli und Brötchen gegeben (für Nella, Eka und Amy auch chinesische Snacks von Amy).
Als Nella satt war, ging sie zum H P. Eka kam mit.
>>Ey, irgendwie fühle ich mich beobachtet. Halt mal an<<, sagte Nella.
>>Ich denke auch die ganze Zeit, dass uns wer folgt<<, erklärte Eka.
>>In der Tat, ihr werdet beobachtet!<<, rief eine Stimme, die Nella sehr bekannt vorkam. Sie drehten sich um. Wie erwartet war es Waldo. Er fuhr laut fort: >>Keine Bange, Nella! Ich beobachte dich nicht wegen dir, sondern wegen Eka! Ich war nur mit dir zusammen, um an Eka heranzukommen! Aber als ihr nicht mehr so viel zusammen gemacht habt, hab ich Schluss gemacht! Es hatte eh keinen Sinn! Ehrlich, es geht mir nur um Eka! Meinetwegen können wir uns vertragen, Hauptsache, ich kriege Eka! Ich muss mit ihr sprechen!<<
Eka schwitzte und machte einen Schritt auf ihn zu. >>Ähh... Okay. Was hab ich denn gemacht? Würde ich, äh, ganz gern wissen!<<
>>Natürlich würdest du das ganz gern wissen! Aber keine Angst, ich tu dir nichts!<<
>>Das hätte ich ehrlich gesagt auch nicht gedacht. Ich denke nur, dass ich halt irgendwas schlimmes gemacht hab, für das ich jetzt bezahlen soll... Stimmt's?<<
>>Nö! Ich will dir nur sagen, dass ich in dich verknallt bin!<<
>>Äh... Ach so!<<
Nella ging weiter und ließ die beiden allein. Sie wollte nicht stören. Sie setzte sich auf eine Bank und packte ihren Rucksack aus.
Shun und Mitsuko liefen vorbei. Wenn sich Nella die beiden so ansah... Es war doch gar nicht so zweifelhaft, dass die beiden heiraten wollten und es nur nicht zugeben wollten. Nella warf ihnen einen bösen Blick zu. Shun bemerkte das und schaute zu Mitsuko. >>
Naze kanojo wa kon'na koto o shite iru nodeshou ka?<<, fragte er sie.
Mitsuko antwortete achselzuckend: >>Wakaranai!<<
>>
Nella wa chotto okotte iru yōdesu!<<, sagte Shun.
Mitsuko sagte: >>
Watashi mo sō omoimasu. Shikashi, anata wa sore ni narete imasu. Kanojo wa amari kōkan ga motenai.<<
Shun nickte und sah wieder zu Nella. Er seufzte. Nellas Blick war nicht weniger finster geworden.
Shun wandte sich wieder Mitsuko zu. >>
Kanojo wa totsuzen watashi o kiratte iru yōdesu.<<
Mitsuko sah Nella argwöhnisch hinterher. >>
Kono Nella wa kanzen ni seijōde wa arimasen. Itte okimasuga, kanojo ni wa amari sensu ga arimasen! Shikashi, soredemo, nanika ga kanojo no naka ni shin'nyū shimashita! Kore wa tashika ni hijō ni kantan ni eikyōwoukeru kanōsei ga arimasu.<<
Shuns Blick schweifte mal wieder in die Ferne. >>
Anata ga tadashī.<<
Shun und Mitsuko verschwanden weiterredend. Nella war einigermaßen fasziniert davon, wie schnell sie die vielen Silben aussprechen konnten. Von einer wütenden Eifersucht getrieben, steigerte sie sich in ihre Gedanken hinein. Shun und Mitsuko sind zusammen und waren es schon immer! Tag für Tag verschwören sie sich fieser gegen mich und benutzen noch dazu die Geheimsprache Japanisch! Leider konnte ich nicht aufnehmen, was sie gesagt haben! Das könnte ich sonst auf dem Smartphone übersetzen! Trotzdem: Shun und Mitsuko sind zusammen! Shun und Mitsuko sind zusammen! Sie wollen heiraten! Die arme Matsu! Bestimmt landet sie nur wegen ihrer ungezogenen Kinder im Gefängnis! Ganz bestimmt ist Shun nicht meine wahre Liebe! Nella packte ihre Sachen und lief Shun und Mitsuko hinterher. Sie war so wütend, dass sie nicht bemerkte, wie traurig ihre Stimmen klangen und wie traurig ihre Blicke waren. >>Shun! Du bist so ein Betrüger! Ich dachte fast, du liebst mich auch! Aber stattdessen gibt es für dich nur Mitsuko! Dass du sie nicht heiraten willst, ist eine Lüge! Eine dreiste noch dazu!<< Nella warf mit einem Apfel nach ihnen.
Mitsuko fing ihn auf und biss in den Apfel. Shun sah Nella zuerst traurig an, doch dann verflog seine Trauer und sein Gesicht nahm steinharte, ernste Züge an. >>Du bist komplett verrückt<<, sagte er kühl und sein japanischer Akzent wurde mit jeder Silbe stärker.
Mitsuko verengte ihre Augen zu Schlitzen, spuckte auf den Apfel, legte ihn auf die Erde, um ihn mit Ameisen zu versehen und warf ihn Nella ins Gesicht.
>>Ich habe dir nie Hoffnungen gemacht<<, sagte Shun und drehte sich um. Er war bereit, weiterzugehen. Für Mitsuko war es noch nicht zu Ende. Sie zog einen Kataner aus ihrem Rock und hielt ihn Nella entgegen. >>Bist du bereit, die Wahrheit zu erfahren, die blutige?<<, fragte sie und lächelte bedrohlich.
>>Lass das, Mitsuko. Es hat keinen Sinn. Nella ist fuchsteufelswild und wird sich wie von der Tarantel gestochen wehren. Sie hat den Verstand verloren und ist nicht mehr sie selbst. Lass sie, vielleicht kommt sie noch zur Vernunft<<, sagte Shun.
>>Ich bin auch fuchsteufelswild und werde mch wie von der Tarantel gestochen wehren. Sie wird schon nicht sterben.<< Mitsuko lächelte noch immer, den Kataner auf Nella gerichtet.
>>Du bist nicht nur schlau, du bist auch stark. Aber ich kann dich immer noch nicht lieben.<< Shuns Blick wurde undurchdringlich.
Nella, von Ameisen bedeckt und einen blauen Fleck auf der Wange, nutzte die Gelegenheit und riss Mitsuko den Kataner aus der Hand. >>Jetzt kannst du nichts mehr gegen mich machen, du feige Mitsuko!<<, rief sie.
Shun trat auf sie zu und schüttelte sie an den Schultern. >>Wie ist dein Verstand abhandengekommen? Wie? Mitsuko ist nicht feige, sie ist mutig. Aber ich liebe sie nicht, verstanden? Jetzt sag die Wahrheit: Wie hast du den Verstand verloren? Was ist passiert?<< Er war kaum noch zu verstehen, da er so schnell und seltsam redete.
>>Ich habe meinen Verstand nicht verloren! Aber als ihr so verdächtig zusammen rumgelaufen seid, da hab ich natürlich gedacht, ihr wärt zusammen!<< Nella gab ihm den Kataner.
Der ruhige Shun von vorher war in dem japanisch sprechenden, steinernen und doch brennenden Shun, der jetzt vor ihr stand, nicht wiederzuerkennen. >>Wir sind nicht zusammen, wir sind nicht zusammen, wir sind nicht zusammen, wirsind-nichtzusammen, wirsindnicht-zusammen, wirsindnichtzusammen, wrsndnchtzsmmn! Ich bin nicht mit Mitsuko zusammen! Ich heirate sie, aber ich bin nicht mit ihr zusammen! Wirsindnichtzusammen! Wirsindnichtzusammenwirsindnichtzusammenwirsind'snicht!<< Shun schrie fast.
>>Schon gut, ich hab's verstanden, Shun!<<, sagte Nella und streckte abwehrend die Hände aus.
>>Gut.<< Shun gab Mitsuko ihren Kataner zurück, während er den Blick auf Nella fixierte.
Mitsuko ließ den Kataner wieder in ihrem Rock verschwinden. Ab diesem Tag würde Nella immer Angst vor ihr haben. Die versuchte sich inzwischen von den Ameisen zu befreien.
Mitsuko und Shun gingen weiter, doch Nella spürte, dass Mitsuko noch immer siegreich lächelte, siegreich und doch finster. Sie spürte auch, dass Shuns Inneres in Flammen stand und man ihn auf eigene Gefahr ansprach. Sie konnte noch hören, wie er Mitsuko fragte: >>Wer war das?<< Daraufhin antwortete Mitsuko: >>Das war Nella, diese dumme, unverständige Verrückte!<<
>>Das war nicht Nella. Oder Nella war nicht sie selbst<<, murmelte Shun. Dann konnte Nella die beiden nicht mehr hören. Sie verstaute ihre Sachen wieder in ihrem Rucksack, schulterte ihn und ging zu einem kleinen See. Sie legte ihren Rucksack ab und sprang ins Wasser, um sich von den Ameisen zu befreien. Klitschnass (dank des Bads) und dampfend vor Wut auf Mitsuko, die Königin der Ameisen, stieg sie wieder aus dem Wasser. Als sie wieder an Land war, sah sie Waldo und Eka auf sich zukommen. Es sah ganz danach aus, dass sie ein Paar waren. Alles sprach dafür: Ihre Mienen, ihre Hände, die sich hielten und ihre Blicke, die sehr glücklich aussahen.
>>Warum hast du das getan?<<, fragte Eka sie.
>>Weil mich Mitsuko mit einem Apfel mit Ameisen beworfen hat!<<, sagte Nella.
>>Warum hat dich Mitsuko mit einem Ameisen-Apfel beworfen?<< Eka sah sie an.
>>Mitsuko hat mich mit einem Ameisen-Apfel beworfen, weil ich ihr vorher den Apfel ins Gesicht geschleudert hab, weil ich dachte, dass Shun und sie zusammen waren.<<
>>Und? Waren sie's?<<
>>Angeblich nicht.<<
>>Aha. Merkwürdige Geschichte.<<
>>Oho! Absolut!<<, mischte sich Waldo ein.
>>Aropos, wir sind auch zusammen<<, sagte Eka. >>Also Waldo und ich.<<
>>Dann bis später, ich wechsel' jetzt meine Klamotten. Hab ich ja sehr nötig<<, erklärte Nella. Als sie sich umgezogen hatte, merkte sie, dass der Flur gerammelt voll war. >>Was ist da los?<<, fragte sie Stanisław.
>>Amy hat versprochen, eine superleckere Überraschung zum Mittagessen dazuzustellen, aber die Tür zur Kantine ist noch zu<<, sagte Stanisław. >>Gül versucht gerade, sich durchzudrängeln und schon was für mich zu ergattern. Mir ist das hier zu voll.<<
Nella versuchte, sich in dem Gedränge vorwärts zu bewegen. Wenn Amy etwas gekocht hatte, war es bestimmt lecker. Plötzlich wurde sie brutal zur Seite geschubst und bekam einen Ellbogen ins Gesicht. Malwin! Er hastete rücksichtslos in die entgegengesetzte Richtung und schien es sehr eilig zu haben.
>>Ey! Aua!<<, schrie Nella ihm hinterher, doch Malwin schenkte ihr keine Beachtung. Nella folgte ihm. Bestimmt hatte er etwas nicht ganz sauberes im Sinn. Als er bemerkte, dass Nella ihn verfolgte, wollte er ihr ein Bein stellen, doch Nella wich aus und schubste ihn nach vorne. Er stieß mit An zusammen, die gerade mit den Fäusten an die Tür zur Kantine hämmerte.
>>Oouh, sorry, An! Tut mir wahnsinnig leid!<<, sagte Nella und fasste sich mit der Hand an den Kopf.
>>Nein, alles gut<<, stotterte An verwirrt. >>Hi, Malwin.<<
>>Gib's zu, du bist in mich verliebt! Aber ich halte nicht von dir, An!<<, rief Malwin.
>>Natürlich bin ich in dich verliebt! Was dachtest du denn?<<
>>Na, das! Nichts anderes! Aber ich hasse dich!<<
>>Ja, weiß ich! Ist mir schon klar!<<
>>ICH HASSE DICH, AN! Mach dir das bewusst!<<
>>Hab ich schon! Ich weiß es schon! Denkst du, mir fällt nicht auf, dass du schon mit Iracema, Eka und Charlotte zusammen warst, aber nicht mit mir?<<
>>Nö, das denke ich nicht! Warum bist du noch in mich verliebt?<<
>>Na... Na... Keine Ahnung! Ich bin's halt!<<
>>Das ist voll dumm! Du weißt genau, dass ich nie in dich sein werde!<<
>>Ja, natürlich weiß ich das ganz genau! Aber... Warum?<<
>>Keine Ahnung, ich hasse dich einfach!<<
>>Ich versteh' das nicht! Eka hasst du auch, aber du warst mit ihr zusammen!<<
>>Ja, manche kann ich eben aushalten, manche anderen nicht!<<
>>Das ist so unverständlich! Ich versteh's immer noch nicht!<<
>>... Versteh mich doch! Jetzt sei ncht so verständnislos! Ich versteh's ja auch nicht!<<
>>Seltsam.<<
>>Iuurgh! Das ist nicht seltsam!<<
>>In wen bist du denn in echt? Natürlich weiß ich ganz genau, dass du's mir nicht sagst, aber ich frag' trotzdem!<<
Malwin sah sich um und zerrte An mit nach draußen. >>In die tote Carola-Lee. Ich liebe die tote Carola-Lee, die schon krank war, als ich begann, sie zu lieben. Ich hatte nie die Gelegenheit dazu, es ihr zu sagen. Iracemas Züge haben mich an die von ihr erinnert. Charlotte hatte auch Ähnlichkeit mit ihr. Ich wusste, dass Carola-Lee bald sterben würde. Ich als einziger habe es gewusst, doch ich konnte niemanden warnen. Um nicht zu traurig zu sein, habe ich es nie mit ihr aufgenommen. Stattdessen war ich mit ihren lebenden Kopien zusammen. Doch meine dunklen Vorahnungen haben mich dazu gebracht, einen Hang dazu zu haben, Schaden anzurichten und Leid zu verbreiten. Daher war ich mit Eka zusammen. Ich wollte ihr Leid zufügen. Aber von der Kontur hat sie mich auch an Carola-Lee erinnert.<<
Nella hörte all das und zuckte jedes Mal zusammen, wenn der Name Eka fiel oder Malwin von Carola-Lee sprach.
Malwin fuhr fort: >>Dich, An, habe ich immer gehasst. Du hast mich nie an Carola-Lee erinnert. Dein Stil ist wie der ihre, aber dein Körper, dein Gesicht und dein Charakter sind ganz anders.<< Malwin sah zu Boden.
An schwieg. Doch dann sagte sie knallhart: >>Es liegt also nicht an mir, dass du mich nicht liebst, sondern an Carola-Lee. Jetzt weiß ich es.<<
Malwin sagte lange nichts. Dieses Geständnis war eines seiner wenigen gewesen.
An schluckte. >>Du liebst mich nicht, weil ich keine Ähnlichkeit mit Carola-Lee habe. Aber... Warum hasst du mich dann gleich? Ist das begründet?<<
>>Ich bin ein sehr böser Mensch. Ich hasse dich, weil du... weil du... weil du so aussiehst... Weil du eben so aussiehst wie du!<<
An sah zu Boden und blickte wieder zu ihm auf. >>Mein... Aussehen! Aber ich sehe doch normal aus!<<
>>Deine Augen! Deine Haare! Dein Kiefer!<<
>>Was ist an meinen Augen falsch, an meinen Augen und meinen Haaren und meinem Kiefer?! Ekas Gesichtszüge sind doch genau wie meine! Und meine große Schwester Ling, sie ist auch so! Und Amy! Und Shun! Und Mitsuko! Und Midori! Und Bert! Und Cecilie!<<
>>Aber du siehst so... So chinesisch aus! Eka sieht malaiisch aus! Tut mir leid, dass ich das sagen muss, aber... aber... Nein, ich muss aufhören, so zu denken!<<
Nella platzte der Kragen. >>Du bist ein Rassist!<<, schrie sie.
>>Das würde Christabel auch sagen<<, sagte Malwin. >>Aber ja, du hast recht. Ich bin ein Rassist.<<
>>Ling und Amy sehen genauso chinesisch aus wie ich<<, gab An wütend von sich. >>Und Midori und Bert und Cecilie und Shun und Mitsuko eigentlich auch, aber der Unterschied ist, dass sie Japaner und Koreaner sind und keine Chinesen! Aber ich begreife nicht, warum Chinesen für dich schlechter sind als andere Südostasiaten. Liegt das an... an... Der Politik? Der Umweltverschmutzung, der Stromverschwendung, der Tierquälerei, der Menschenverschwendung- und Quälerei? China hat auch schöne Seiten! Natur, Steppen, Berge, Flüsse, Kultur, Tiere, Essen...<<
>>Ach, ich weiß auch nicht. Hör einfach auf damit, An. Ich weiß ja, dass ich ein schlechter Mensch bin, aber ich wollte es eben auch sein. ich habe ja nichts gegen Chinesen, ich hasse dich ja nur einfach!<< Malwin griff sich in die Haare.
>>Ich will auch nicht streiten, ich bin geboren, um friedlich zu sein. Wie jeder weiß, bedeutet mein Name >Frieden<. Hat Ling ja mal herumposaunt, als sie mit Ahuva auf der Bühne stand. Und sie hat gesagt, dass ich für sie nicht friedlich bin. Das stimmt auch. Wir streiten uns immer. Hat sie selber gesagt. Aber ich hasse sie nicht! Ach, ich kann es einfach nicht verstehen.<<
>>Hören wir einfach auf damit. Ich finde das ganze hier nicht mehr normal.<<
An drehte sich um und erblickte Nella. >>Du... Du hast alles gehört?<< Sie zuckte zusammen.
>>Ja, ich hab alles mitgehört. Malwin, du musst dich bessern! Du kannst einfach nicht weiter ein schlechter Mensch bleiben!<< Nella ging auf Malwin zu.
>>Geh nicht weiter auf mich zu, Nella. Ich bin überlastet. Ich werde ja auch schon ein guter Mensch. Aber gleich kriege ich wirklich 'n Burnout.<< Malwin ging rein. An folgte ihm hinein.
Nella ging zum Mittagessen.
>>Warum kommst du verspätet?<<, fragte Stanisław. >>Es ist schon fast alles aufgegessen, was Amy mitgebracht hat.<<
>>Oh! Fällt das sehr auf, dass ich verspätet gekommen bin? Ich musste eben, äh, noch was mit An und Malwin klären...<<
>>Nee, es fällt nicht so auf. Schnell, greif zu! Gleich ist alles weg!<<
Nella drängte sich nach vorn zum Tisch und schnappte sich das vorletzte Schälchen. Das letzte nahm sich übrigens An.
Plötzlich gab es einen lauten Krach. Gül war das Tablett mit dem Teller und dem Glas heruntergefallen. Jetzt sammelte sie mit Stanisław zusammen alle Scherben ein, die sie produziert hatte. Carla lachte Gül gehässig aus. Nella warf ihr einen strengen Blick zu.
>>Was hast du da jetzt schon wieder angerichtet, Gül?<<, murmelte Stanisław und schüttelte den Kopf. Gül grinste verunsichert. >>Äh... Weiß nicht... Der Teller ist mir runtergefallen... 'tschuldigung... äh...<< Als sie alle Scherben eingesammelt hatten, beförderten sie sie in den Abfalleimer. Dann kehrten sie an ihre Plätze am Tisch zurück, als ob nichts gewesen wäre.
>>Gül, du musst echt ein bisschen besser aufpassen! Mit deiner Tollpatschigkeit geht das so nicht weiter! Du gibst dich der Lächerlichkeit preis! Carla hat dich schon ausgelacht, hast du das gesehen?<<, raunte Stanisław Gül zu.
>>Genau, Gül! Bald, wenn du mal Frühstück machst, tust du sicher Rosinen in Stanisławs Müsli!<<, ergänzte Christabel vorwurfsvoll.
>>Die Rosine, auf Latein uvae passae, getrocknete Traube, beinhaltet an sich keine schädlichen Stoffe<<, erklärte Midori sachlich und rückte ihre grün-goldene Brille zurecht. >>Es ist aber natürlich, dass Stanisław eine Rosinenallergie hat. Es gibt nämlich alle möglichen seltsamen Allergien. Sie sind nicht ansteckend.<<
>>Ich zum Beispiel habe eine Allergie gegen Christabel<<, zischte Gül und warf Christabel einen Blick zu. >>Sehr seltsame Allergie.<<
>>Stimmt. Deine Christabel-Allergie ist ein sehr interessantes und merkwürdiges Phänomen.<< Midori nickte.
Gül konnte ein Lachen nicht unterdrücken. Stanisław lachte herzlich mit. Nella kicherte auch. Christabel nicht. Sie schaute grimmig drein. >>Wollt ihr Midori etwa auslachen? Eine Anti-Christabel-Allergie ist schließlich wirklich eine sehr seltsame Allergie.<<
>>Allerdings halte ich sie eigentlich für unwahrscheinlich. Eine Allergie gegen einen bestimmten Menschen ist sehr unnatürlich<<, sagte Midori.
>>Das stimmt. Gül hasst mich nämlich einfach nur<<, bestätigte Christabel.
>>Ich würde dich ja nicht hassen, wärst du nicht dauernd so eifersüchtig auf mich!<<, konterte Gül.
Eigentlich gab es zum Mittagessen Nudeln, Pizza, Auflauf und Salat.
Zum Abendessen gab es Kartoffelsalat, Griesbrei, Brot und Amys Spezialitäten.
Nach dem Essen ging Nella in den Gemeinschaftsraum und hörte sich die Bands >Natalya<, >Eka< und >Inci< an. Als erstes kam >Natalya<, die nur aus Natalie bestand. Sie sang einen Song, der >Aluna Natalya< hieß. Aluna war nämlich ein Name aus Kenia und bedeutete >>Komm her<<. Aluna war in der Band >Pronomy< mit Amali, Charlotte und Arvo. Als Natalie sie nach der Bedeutung ihres namens gefragt hatte, war sie auf die Idee gekommen. Charlotte war nämlich außerdem mit Natalie befreundet und wollte, dass Natalie in die Band >Pronomy< eintrat. Sie sagte also sozusagen: >>Komm her, Natalie<<. Darüber sang Natalie, als sie auf der Bühne stand. Nach ihr war Eka dran. Sie sang darüber, dass sie jetzt mit Waldo zusammen war. Als sie fertig war, war Inci mit ihrem Quatsch über den längst vergangenen Streit mit Bela an der Reihe. Nella hörte sich alles an, dann ging sie ins Bett.

Montag, 3. Februar 2025

9: Glibber-Mango und Nudelsuppe

Als Nella mit dem Frühstück fertig war, merkte sie, dass Vidar ihr fehlte. Sie war es schon gewohnt, mit ihm zusammen zu sein und alles mit ihm gemeinsam zu machen. >>Grrr! Wenn dieser... dieser... ich wende jetzt lieber kein Schimpfwort an! Wenn dieser Waldo nicht gewesen wäre, wäre jetzt noch alles gut zwischen mir und Vidar! Das zahle ich ihm heim!<<, zischte sie mit zusammengepressten Zähnen. Schnurstracks lief Nella auf Waldo zu.
>>Was is'n jetzt schon wieder? Wenn du Streit willst, hau' ich ab, das sag' ich dir! Wenn du aber keinen Streit willst, mach hinne! Hab keine Zeit für Kaffeekränzchen!<<, warnte Waldo und signalisierte ihr, ihm nicht zu nahe zu kommen, indem er die Hand abwehrend ausstreckte.
>>Natürlich will ich Streit, aber du bleibst schön hier! Wir haben nämlich was zu klären, du und ich!<<, sagte Nella und hielt ihn am Arm fest.
>>Hey! Ich komme nicht, um mich mit dir zu prügeln! Also lass mich gefälligst los! Ich hab echt weder Zeit noch Bock!<<
>>Nicht wenn du wegrennst! Schwör mir, dass du dann stehen bleibst!<<
>>Na toll, dann bleib' ich halt stehen. Jetzt lass mich los!<<
>>Tu ich ja schon! Nicht so aufdringlich! Aber wegen dir mag mich Vidar nicht mehr! War das etwa Absicht?<<
>>Nein, das war keine Absicht! Aber wäre es erst jetzt passiert, wäre es Absicht!<<
>>Bloß nicht! Zukünftig wirst du mir in meiner Liebe nicht schaden!<<
>>Da! Schau mal her! Vidar läuft gerade mit Amira-Parizad!<<
>>Ist mir egal!<<
>>Oho! Ihr passt also wirklich nicht! Wusstest du schon, dass Vidar eigentlich sehr sozial ist?<<
>>Klar, und ich bin asozial, nhe?<<
>>Genau! Du hast einen sozialverdächtigen Verstand!<<
>>Mitsuko hat mich gestern auch schon verständnislos genannt! Ich habe sehr viel Verstand! Geografie ist nicht wichtig!<<
>>Da musst du noch einiges verlernen! Du hälst deinen Beauty-Kram ja für überlebenswichtig! Beauty-Kram, Süßigkeiten und Freundinnen und sowas! Und was ist, wenn plötzlich ein Krieg kommt? Na, was machst du dann? Ich hab nicht das Gefühl, dass du sehr sportlich bist!<<
>>Wollen wir ein Wettrennen machen? Dann kannst du dich überzeugen!<<
>>Sehr gerne! Ich wette trotzdem, dass ich gewinne!<<
>>Also los!<<
>>Halt, stopp! Was ist die Ziellinie?<<
>>Der Stock da! Jetzt aber los!<<
Waldo und Nella sprinteten nebeneinander her. Waldo war tatsächlich erstaunlich schnell, aber Nella gewann trotzdem.
>>Erste!<<, schrie sie triumphierend.
>>Bäh, das war Schummeln!<< Waldo verschränkte die Arme. An den folgenden Tagen machten sie wieder solche Wettkämpfe und meistens gewann Nella.
>>Hey, meine Beine tun weh!<<, sagte sie an einem Nachmittag. >>Stopp, Waldo!<<
>>Oho! Du bist aus der Puste! Streng dich gefälligst ein bisschen an! Na gut, wir können schon aufhören...<< Waldo streckte sich.
>>Ich hole Eka. Dann könnt ihr beiden ein Wettrennen machen.<< Nella rannte in ekas Zimmer und holte sie.
>>Was ist?<<, fragte Eka.
>>Komm mit<<, sagte Nella und nahm Eka an der Hand. Sie gingen zu Waldo.
>>Hallo Eka!<<, sagte dieser.
>>Äh... Hi Waldo<<, sagte Eka.
>>Gut so, Eka. Ab jetzt rede ich nicht mehr mit ihm. Wenn er mich was fragt, musst du antworten<<, erklärte Nella.
>>Was soll ich denn mit ihm und dem Stock?<<, fragte Eka.
>>Das Wettrennen könnt ihr eigentlich auch lassen<<, sagte Nella.
>>Gut. Er würde sowieso gewinnen.<<
>>Hasst Nella mich immer noch?<<, fragte Waldo.
>>Glaube schon. Irgendwie hab ich auch das Gefühl, dass sie dich nicht mag<<, sagte Eka und kratzte sich am Kopf.
>>Oh, wie schade Nella. Leider hasst du mich ja immer noch.<< Waldo grinste.
Eka sah ihn irritiert an.
>>Ich dachte, du hättest mich sehr lieb<<, fügte Waldo dann ironisch hinzu.
>>Magst du sie?<<, platzte es aus Eka heraus.
>>Natürlich, super gerne! Wir sind zusammen!<< Waldo breitete erklärend die Arme aus.
>>Das ist nicht dein Ernst, oder? Sieht Nella das auch so?<<, fragte Eka kopfschüttelnd.
>>Natürlich sieht Nella das auch so! Nella ist total in mich verknallt! Nur sie ist viel zu schüchtern, um das zu sagen!<< Waldo bekam einen Lachanfall.
>>Boah! Ich hasse dich, Waldo!<< Nella lachte mit.
Eka sah von Waldo zu Nella und von Nella zu Waldo. Sie schien geistig noch nicht ganz mitzukommen.
Nella boxte Waldo in die Seite.
>>Also seid ihr jetzt zusammen oder seid ihr verstritten? Ich verstehe euch gerade nicht<<, fragte die arme Eka.
>>Äh... Keine Ahnung<<, sagte Waldo. >>Nella scheint mich ja immer noch zu hassen.<<
>>Nella? Was sagst du?<< Eka schaute Nella verdattert an.
>>Weiß nicht<<, behauptete Nella so unschuldig wie möglich. Die gute Eka glaubte ihr und war befriedigt. >>Kann ich wieder gehen?<<, fragte sie.
>>Ja, klar<<, sagte Nella, der gerade sowieso nicht viel an Eka gelegen war.
>>Was jetzt?<<, fragte Waldo, als Eka weg war.
>>Jetzt ein Geheimnis<<, sagte Nella.
>>Welches? Du bist in mich verknallt, was?<<
Nella nickte und das Blut schoss ihr ins Gesicht.
>>Yippieh!<<, rief Waldo. Doch dann verdunkelte sich sein Gesicht. >>Ich muss leider los. Ich hab einen Termin beim Optiker. Ich brauche neue Nasenpads.<<
>>Okay, dann tschüs.<<
>>Bis später!<<, rief Waldo und schwang sich auf sein Fahrrad.
Nella ließ sich ins Gras plumpsen und nahm sich ihr Smartphone. Nachdem sie ihre Mails gecheckt hatte, dachte sie: Das geht echt schnell! Vor ein paar Tagen hab ich Waldo noch voll gehasst, aber eigentlich ist er richtig nett...
Plötzlich sah sie Shun vorbeilaufen. Er hatte die Hände in den Hosentaschen und die Gedanken bei seiner bevorstehenden Hochzeit mit Mitsuko, das sah man ihm an. Sie steckte schnell ihr Handy weg und rief: >>Hi Shun!<<
>>Hi Nella!<<, sagte Shun. >>Gutes Wetter heute, nhe?<<
>>Cool, du hast ja richtig gute Laune! Was gibt's?<<
>>Na, gutes Wetter eben! Ich fand's langsam zu eintönig, immer traurig zu sein, und deshalb hab ich mich einfach mal wieder gefreut. Und du? Du bist ja auch voll froh.<<
>>Ja, ich bin jetzt mit Waldo.<<
>>Und der arme Vidar?<<
>>Den gibt's für mich nicht mehr.<<
>>Seit wann?<<
>>Seit 'n paar Tagen. Seit Waldo.<<
>>Für ihn gibt's jetzt auch nur noch Amira-Parizad, wie's aussieht.<<
>>Für wen? Für Waldo oder für Vidar?<<
>>Na für Vidar natürlich.<<
>>Puh. Ich geh' jetzt zum Abendessen.<<
>>Ich komm' mit. Mitsuko hat zwar was gekocht, aber das Gericht ist richtig eklig. Ich ess' lieber hier was.<<
>>Gute Entscheidung.<<
So gingen Nella und Shun zusammen zum Abendessen. Als sie fertig waren, hörten sie sich noch die Bands an und gingen dann schlafen.

Am nächsten Tag kam Waldo wütend auf Nella zu. >>Nella!<<, donnerte er.
>>Was ist?<<
>>Mir reicht's! Ich mache Schluss! Ich kann nicht mehr mit dir leben! Ich hab die Nase gestrichen voll von einer komischen, dicken, flatterhaften, beauty-besessenen, gefräßigen, dummen Teenagerin, von dir! Es ist aus! Such dir wen anderes! Ich halt's nicht mehr aus! Das Zusammensein ist für mich nichts! Du wirst doch wohl schnell einen anderen finden! Ich bin jetzt weg!<< Waldo machte auf dem Absatz kehrt und verschwand.
>>Du bist so gemein!<<, schrie Nella ihm hinterher und schlug in der Luft nach ihm. Dann rannte sie zu Shun. Er saß, den Kopf in die Hände gestützt, mit Mitsuko auf einer Treppe. Als Mitsuko Nella sah, rannte sie weg und versuchte, Shun mit sich zu zerren. >>Komm, Shun! Das dumme Ding ist wieder zurück! Ihr dürft keine Freunde werden!<<
>>Ach Mitsuko. Wieso denn nicht? Ich hab eh keine. Und wenn wir geheiratet haben, hab ich nichts mehr mit ihr zu tun.<<
Aber Mitsuko war schon weg.
Shun stand auf. >>Was ist, Nella?<<
>>Shun! Waldo hat Schluss gemacht! Wie soll ich damit umgehen?<<, rief Nella aufgebracht.
>>Ignorier ihn einfach.<< Shun wuschelte sich durch die Haare. >>Und dann hast du ihn morgen auch wieder vergessen. So einfach ist das bei dir.<<
>>Ich werd's probieren.<<
>>Für dich ist das leicht. Du hast das auch schon bei 3 anderen Jungs geschafft. Bei Stanisław, Bela und Vidar.<<
>>Ja, aber in Stanisław und Bela war ich nicht verknallt.<<
>>In Vidar schon.<<
>>Auf ihn hab ich ja sicher auch nur gestanden.<<
>>So langsam habe ich das Gefühl, dass du die ganze Zeit irgendwen anderen liebst, aber es nicht weißt, wen, oder es nicht sagen willst. Aber sei beruhigt: Ich weiß auch nicht, wer es ist. Und vielleicht ist das auch nur Bauchgefühl.<<
>>Vielleicht. Irgendwie glaube ich dir.<<
>>Aber vergiss lieber das, was ich gesagt habe. Wahrscheinlich hast du davon keinen Nutzen oder ich habe nur Quark geredet. Und außerdem bin ich ja später weg.<<
>>Ja, weil du Mitsuko heiraten wirst.<<
>>Was ich noch heute sehr bedaure.<<
>>Ich glaube, du wirst es immer bedauern.<<
>>Natürlich. Vielleicht machst du irgendwann übrigens auch so einen Fehler und heiratest auch zum Beispiel irgendwen, den du nicht liebst. Dann weißt du auf jeden Fall, wie das ist. Aber ich hoffe für dich, dass das nicht passiert und du immer dein einfaches Leben weiterleben kannst.<<
>>Ich werde, glaube ich, nie heiraten. Es sei denn...<< Sie brach plötzlich ab.
Shun schwieg und schlug die Augen nieder. Schließlich sagte er mit gepresster Stimme: >>Tu das nicht.<<
>>Aber egal. Ääääh... Zur Sache. Vielleicht werde ich Eka heiraten.<<
>>Ich halte das für eine nicht so gute Idee.<<
>>Ja, ja.<<
>>Ich werde jedenfalls Mitsuko heiraten.<<
>>Ja...<<
>>Nella, jetzt sei mal ganz ehrlich: Warum willst du verhindern, dass wir heiraten? Ich meine... Es steht doch schon fest. Und du allein kannst das nie schaffen.<<
>>Ich allein nicht! Aber ich mit euch kann das schaffen! Ich will es verhindern, weil ihr nicht heiraten wollt!<<
>>Mitsuko hilft dir nicht. Und ich auch nicht. Es ist einfach zwecklos. Wir können zu dritt auch nicht viel machen. Und manche Leute haben eben so ein Schicksal. Da kann man nichts machen.<<
>>Manche Leute! Du aber nicht!<<
>>Lass es doch passieren. Es schadet dir ja nicht, wenn wir heiraten.<<
>>Aber euch! Und mir auch! Wenn Mitsuko immer bei dir ist, wird sie auch immer bei dir sein, wenn du bei mir bist! Aber ich hasse Mitsuko!<<
>>Vielleicht hasst du mich auch. Und ich werde gar nicht mehr bei dir sein, ich werde immer nur bei Mitsuko sein.<<
>>Das ist sehr schlecht! Und ich hasse dich nicht!<<
>>Woher weißt du das?<< Shuns kleine, dunkelbraune Augen nahmen einen traurigen Ausdruck an.
>>Na ja, ich weiß es halt.<<
Plötzlich zuckte Shun zusammen, als ob ein elektrischer Schlag ihn getroffen hätte. >>Aber...<< Er brach ab.
>>Was ist, Shun?<<
>>Vergiss es einfach. Du brauchst es nicht zu wissen.<<
>>Ähhh... Okay...?<<
>>Es ist nicht wichtig für dich, da es ja schon feststeht, dass ich Mitsuk... Ich habe das schon oft genug gesagt. Ich kann die Wörter >Mitsuko< und >heiraten< nicht mehr hören.<<
>>Ich auch nicht.<<
>>Ich sollte dir nicht von mir erzählen. Du kannst mir von dir erzählen, wenn du willst.<<
>>Ich hab nichts zu erzählen.<<
>>Echt?<<
>>Na ja, manchmal hab ich das Gefühl, dass ich nach irgendwas suche...<<
>>Ich glaube, ich weiß, was du suchst.<<
>>Was suche ich denn?<<
>>
Anata no hontō no ai.<<
>>Anatano honto noai?<<
>>Deine wahre Liebe.<<
>>Dieser Anatano ist nicht meine wahre Liebe!<<
>>Kein Japaner heißt Anatano.<<
>>Ääähhh...<<
>>
Anata no hontō no ai bedeutet Deine wahre Liebe. Du suchst nach deiner wahren Liebe. Du musst sie finden. Verstanden?<<
>>Verstanden. Ich muss meine wahre Liebe finden.<<
>>Du hast sie noch nicht gefunden. Weder in Stanisław oder Bela noch in Vidar oder Waldo.<<
>>Nein, ich habe sie noch nicht gefunden.<<
Shun sah sie an und zuckte wieder zusammen. >>Du hast sie noch nicht gefunden. Aber warum? Du warst immer beschäftigt. Vielleicht...<< Er verstummte.
>>Was ist vielleicht?<<
>>Wen siehst du öfter als Stanisław, Bela, Vidar und Waldo zusammen?<<
>>... Dich!<<
>>Ja. Du hast es, Nella. Du kommst immer direkt zu mir, wenn du Liebeskummer hast. Aber ich bin für dich immer nur ein Freund. Was ist, wenn das eigentlich nicht gilt und du das nur noch nicht gemerkt hast?<<
>>Ääähhh... Stimmt... Mhm...<<
>>Ich weiß nicht, ob ich richtig liege. Vielleicht. Natürlich wäre es besser, wenn ich falsch liegen würde...<<
>>Natürlich... Aber auch nur wegen Mitsuko.<<
>>Liege ich falsch oder richtig? Du weißt es wahrscheinlich am genauesten.<<
>>Ich... ich glaube, du liegst... richtig.<<
>>Ich bin vorher auch noch nie darauf gekommen.<<
>>Ich auch nicht. Gar nicht.<<
>>Mitsuko würde sich nicht freuen.<<
>>Mitsuko würde sich in der Tat nicht freuen. Mitsuko, Mitsuko.<<
>>Matsu wäre auch nicht glücklich... Aber sie weiß es ja nicht. Mitsuko wird es auch nicht wissen.<<
Nella schwieg.
Shun nickte ihr zu und ging. Als er weg war, bemerkte Nella, dass er ihr eine Karte dagelassen hatte. Sie nahm die Karte in die Hand und öffnete sie. Es war keine Landkarte, sondern eine Klappkarte. Eine Einladung. Die Einladung zu Shuns und Mitsukos Hochzeit. Nella konnte den Blick nicht mehr von der Einladung lösen. Sie war so vorhersehbar gewesen, aber doch sensationell. Ihr wurde heiß und wieder kalt und sie war wütend und froh zugleich. Es war schrecklich, dass Mitsuko und Shun es mit der Hochzeit wirklich so ernst nahmen und sie schon bis ins letzte Detail geplant hatten, doch es war unvorstellbar für Nella, nicht eingeladen zu werden. Und sie wurde tatsächlich eingeladen. Auch wenn die Hochzeit ein schreckliches, deprimierendes Erlebnis für sie sein würde, war sie trotzdem froh, überhaupt dabeisein zu dürfen. Nella steckte die Karte ein und begab sich in ihr Zimmer. Dort musste sie unter anderem auch darüber nachdenken, dass Shun ihre wahre Liebe war. Konnte das denn wirklich sein? Sie hatte ihn nie geliebt und doch mehr als alle anderen. Er war gebildet, aber nicht zu oberschlau und vor allem sehr ausdauernd und kontrolliert. Er war cool, aber nicht obercool und eitel. Seine Haare waren gewaschen, aber nicht gegelt. Wenn er sang, hatte er eine schlechtere Stimme als Vidar, aber seine Songs waren weniger langweilig und viel faszinierender. Er sang durch und durch keinen Pop. Er hatte eine ruhige Art zu reden und wenn er erzählte, wurde einem nicht langweilig beim Zuhören. Er brauste nicht schnell auf und hatte keine für ihn typischen Wörter, die er in jedem Satz benutzte. Das war alles schön und gut, aber es war unvorstellbar für Nella, in ihn verliebt zu sein! Doch sie musste sich überwinden. Äußerlich passte sie vielleicht nicht zu Shun, aber innerlich zumindest besser als er und Mitsuko. Shun und Mitsuko hatten an sich einen recht ähnlichen Charakter, Nella und Shun nicht. Trotzdem. Das Äußere von Shun und Mitsuko passte auch nicht. Zu ähnlich. Nella ließ sich auf ihr Bett fallen. Bevor sie zum Essen ging, würde sie ein bisschen dösen.

Nach dem Essen wollte sie wieder auf ihr Zimmer gehen, doch auf dem Flur hielt sie inne, da sie sehen konnte, wie Shun in ein ernstes Gespräch mit Malwin vertieft war. Sie versteckte sich hinter einer großen Topfpflanze und beobachtete die beiden. Malwin lachte und legte Shun die Hand auf die Schulter. Shun blickte ernst drein und redete leise auf ihn ein. Malwin streckte seine Hand aus und Shun schlug ein. Dann kramte er etwas schwarzes aus seiner Hosentasche. Was war es nur? Nella sah eine Münze blitzen. Es war sein Portemonnaie! Shun hielt kurz inne, dann schüttete er den Inhalt seines Portemonnaies in Malwins ausgestreckte Handfläche. Malwin nahm das Geld entgegen und steckte es in seine eigene Geldbörse. Er lachte wieder laut auf und schüttelte Shun die Hand. Shun murmelte etwas, nickte ihm zu und verschwand mit ernster Miene. Malwin sah ihm nach, dann ging auch er, während er sich ins Fäustchen lachte. Nella bemerkte, dass Mitsuko das Vorgehen ebenfalls beobachtet hatte und Malwin jetzt hinterherrannte. Sie hielt fest. Nella ging näher ran. >>Warum hast du Shun das Geld gestohlen?<<, rief Mitsuko.
>>Ich habe es ihm nicht gestohlen! Ich besitze es wegen dir! Du kannst nicht behaupten, ich habe es ihm gestohlen! Er hat es mir freiwillig gegeben! Und jetzt verschwinde!<<
>>Niemals! Gib das Geld her! Sein Geld war auch mein Geld und ich werde nicht zulassen, dass dieses viele Geld in die Hände eines solchen Fieslings und Bösewichts wie dir gerät!Rück es raus!<<
>>Nun mal langsam! Wiederholen ist gestohlen! Das ist mein Geld, nicht deines!<<
>>Es... Es ist nicht dein Geld! Es ist Shuns Geld und mein Geld, unser Geld! GIB MIR DAS GELD!<<
>>Nie im Leben! Es ist mein Geld, das schwöre ich! Shun hat den Vertrag unterschrieben! Ich habe sogar Papiere, die das beweisen! Bevor du uns beobachtet hast, haben wir den Vertrag schon unterschrieben! Das, was du gesehen hast, war der praktische Teil, die Übergabe! Es ist mein Geld, du! Und du hast hier nichts mehr zu suchen!<<
Nella konnte nicht länger ansehen, wie die arme Mitsuko gegen den bulligen Malwin für Shuns Geld kämpfen musste. Sie sprang aus ihrem Versteck und riss Malwin das Geld aus der Hand. Malwin schlug nach ihr, doch im letzten Moment wich sie aus. Mitsuko entfernte sich ein wenig. Nella warf ihr das Geld zu. Mitsuko machte sich aus dem Staub. Doch Malwin hatte keine Ruhe gefunden. Er nahm Nella in den Schwitzkasten, doch sie ging geschickt mit seiner Kraft mit und schlüpfte unten durch seinen Ellbogen, ehe sich der Schwitzkasten schließen konnte. Von hinten trat sie ihm in die Kniehöhlen, damit er einen Moment lang nur auf den Schmerz achtete und floh, während er sich mit seinen Knien befasste und nicht auf sie achtete.
Im Flur rannte sie, damit sie, falls sie von Malwin verfolgt wurde, schnell in ihr Zimmer konnte. Plötzlich stieß sie mit Eka zusammen. >>Oh, sorry, Eka! Ist hier Malwin?<<
>>Nein, wieso? Wegen mir nicht.<<
>>Ich hatte eben einen Streit mit ihm. Er ist jetzt echt aggressiv drauf.<<
>>Ach so. Nein. Er ist nicht hier.<<
>>Puh. Super. Was willst du jetzt machen?<<
>>Eigentlich wollte ich gerade Mangostreifen kaufen.<<
>>Gut, ich komme mit. Ich hab echt Hunger.<<
>>Okay.<< Eka und Nella gingen zum Supermarkt und kauften die Mangostreifen. Plötzlich fing es an zu regnen und die Tüte mit den Mangostreifen (Eka hatte sie übrigens schon geöffnet) fiel in eine Pfütze, die sich in Rekordgeschwindigkeit gebildet hatte. Nella checkte gerade unaufmerksam ihre Mails und lief voll in die Pfütze rein.
>>Achtung!<<, schrie Eka, doch zu spät.
>>Mist, die Schuhe hab ich erst letzten Samstag gekauft!<<, fluchte Nella und versuchte, sich den Mango-Pfützenwasser-Schmodder von den Sohlen zu schaben. Es half nichts. Die glibberigen, klebrigen, mit Pfützenwasser getränkten Mangostreifen blieben eklig an ihren Schuhen kleben. Nella schwang mit voller Wucht ihr Bein, sodass sie von ihrem Schuh flogen. Sie landeten zu Malwins Füßen. Er hatte sie nämlich inzwischen eingeholt. Malwin glitt aus und landete auf dem Fahrradweg. Eine ältere Dame auf einem Hollandrad schrie verärgert: >>Räumen Sie sofort den Weg! Dies ist ein Fahrradweg, der ist nicht zum Chillen da! Haben Sie überhaupt schon mal etwas von guten Manieren gehört?! Nein, nicht wahr? Also los! Sie haben noch nicht solche schmerzenden Knochen wie ich! Für Sie ist es also ein Leichtes, aufzustehen! Hopp, machen sie schon!<< Malwin rappelte sich auf. >>Entschuldigung!<<, murmelte er. Nella und Eka waren inzwischen in Ekas Zimmer angelangt. Nella schrubbte ihre Schuhe. Eka suchte nach alten, trockenen Mangostreifen. Gerade, als sie zum Abendessen gehen wollten, fand sie eine Packung. >>Das sind welche! Die nehmen wir zum Abendessen mit!<<
>>Okay, ich stelle meine Schuhe dann einfach schon mal unter die Heizung.<<
Nella und Eka gingen zum Abendessen. Es gab mal wieder Brot mit Belag, Saft, Tee und Wasser.
>>Langsam wird's fad, nhe, Eka?<<, fragte Nella und schmierte sich lustlos ihr Brot.<<
>>Solange ich Mangostreifen habe, nicht. Und den Maracuja-Saft finde ich immer noch lecker.<<
>>Ich frage mich, ob du das in 5 Jahren immer noch so sehen wirst.<<
>>Ist doch auch egal. Dann finde ich wahrscheinlich Apfelsaft lecker und mag Apfelchips.<<
Nella wandte ihren Blick von Eka ab und sah sich nach Shun um. Er saß am anderen Tischende neben Mitsuko und redete mit ihr. Wahrscheinlich besprach er die Sache mit dem Geld.
Malwin ließ sich weit und breit nicht blicken.
Nella bemerkte, dass Iracema wieder da war. Außerdem fiel ihr ein, dass Shun seinen Verband nicht mehr trug, seitdem 3 Tage vergangen waren.
Vidar und Amira-Parizad fehlten. Anscheinend waren sie bei der Beerdigung von Carola-Lee. Nella schob ihren Teller weg und lehnte sich zurück. Das Essen schmeckte ihr nicht mehr. Der Gedanke an die krank gestorbene Carola-Lee hatte ihr den Appetit verdorben. Außerdem wollte sie neue Geschmäcker haben, nicht immer nur das fade Brot und Kräuterbaguette. Milchreis wäre mal gut, oder etwas richtig exotisches. Auch wenn es vielleicht ungewöhnlich wäre, wäre es zumindest mal etwas anderes und eine Abwechslung. Nella sprang auf und lief schnurstracks auf Amy zu. >>Amy, kannst du vielleicht mal was Chinesisches kochen und zum Essen dazustellen? Wär' echt lecker. Danke.<< Und sie lief wieder zu ihrem Platz. Nein! Amy hielt sie fest. >>Ich esse die Sachen von hier nie. Willst du?<< Amy hielt ihr eine Schüssel mit einer scharfen Nudelsuppe hin. Nella schnappte sich die Schüssel und machte sich sofort an sie ran.
>>Huch? Wo hast du das denn plötzlich her? Sieht voll lecker aus!<<, fragte Eka.
>>Hat mir Amy gegeben<<, sagte Nella.
Eka holte sich auch eine Schüssel von Amy. Die hatte genug vorbereitet.

Nach dem Abendessen hörten sich Nella und Eka die Bands an. Heute sangen >>Lupus<<, >>Lapislazuli<< und >>Parihan<<, die nun nur noch aus Amira-Parizad bestand, die wegen der Beerdigung nicht konnte und von der Band >>Pronomy<<, wo Aluna, Amali, Charlotte und Arvo mitmachten, vertreten wurde.
Um 22 : 30 Uhr ging Nella schlafen.

14: Abend-Telefonate

Während Nella das Frühstück aß, beriet sich Gül mit Midori. >>Gut, ich hab dieses Haus jetzt gekauft! Danke für deinen Viertelanteil, ...