Freitag, 21. Februar 2025

12: Ein gequältes Lächeln

Übermorgen ist Shuns und Mitsukos Hochzeit!, dachte Nella und rührte in ihrem Müsli. Plötzlich sah sie Mitsuko vorbeilaufen. Sie sprang auf. >>He, Mitsuko, halt mal an! Wo ist Shun? Und wo wart ihr gestern?<<
>>Das geht dich nichts an und es ist auch nicht interessant für dich! Es geht um die Hochzeit! Lass mich jetzt weiterlaufen!<<, sagte Mitsuko nur und lief schnell weiter.
Nella aß weiter. Mitsuko war aber komisch gewesen!

Als das Frühstück zu Ende war, ging Nella zu Gül und ihrer Gruppe, zu der Stanisław, Christabel, Midori, Laurina, Bert, Charlotte, Arvo, Natalie, Erik und seit neulich auch Eka und Waldo gehörten. >>Hi Leute!<<, rief sie.
>>Hallo<<, sagten Gül und Stanisław.
Nach 2 Minuten heißer Diskussion, was sie jetzt machen sollten, beschlossen die Freunde, in den Heimer Park zu gehen.
>>Findet ihr den H P echt so faszinierend?<<, zweifelte Gül.
>>Ja!<< Midori nickte eifrig. >>Manche Blumen, die hier wachsen, kenne ich noch gar nicht! Das da zum Beispiel sind aber Gänseblümchen und das Mohnblumen und das Lavendel und das... warte... Le... Löwenzahn! Oder? Ja.<<
>>Pflück ihn doch!<< Gül fand das Thema nicht weiter interessant.
>>Hä, wieso? Ist doch ein individuelles Lebewesen! Oh! Warte! Die Blume kenne ich ja gar nicht! Was ist das? Weiß das wer? Na, ich googel's einfach mal. Wow.<< Midori blieb vor der unbekannten Blume stehen und begann, auf ihrem Handy herumzutippen.
>>Oh, Midori, voll cooles Handy hast du! Ich mag auch immer japanische Zeichentrickfiguren.<< Nella beugte sich über Midoris Handyhülle.
>>Ja, danke... Also... Diese Blume könnte... Ist das eine Lilie?<< Midori rückte mal wieder ihre grün-goldene Brille zurecht.
Nella ging weiter, während Christabel bei Midori und der seltsamen Blume stehen blieb . >>Ich halte das eher für einen Krokus<<, hörte sie diese noch sagen.
Midori erwiderte wissenschaftlich: >>Aber der ist doch ein Frühblüher, oder nicht? Im Sommer wächst doch kein Krokus! Christabel! Eine Lilie! Na ja... Sieht auch aus wie... Na, wie heißt das nur?<<
>>Eine Grünlilie, ein Chlorophytum-Dings?<<
>>Nein, ganz sicher nicht! Das ist was ganz anderes! Da liegt ein Riesen-Unterschied vor! Aber mit dem lateinischen Namen lagst du schon richtig! Die Grünlilie ist das Chlorophytum comosum...<<
>>Ich hab Studentenfutter mitgenommen<<, erzählte Gül.
Stanisław räusperte sich und streifte sie mit einem Aha-Aha-Blick.
>>Ist doch super, oder?<<, fragte Gül unsicher.
Nella deutete mit dem Finger auf Stanisław.
>>Haa-tschi!<<, sagte Stanisław. >>Nhe? Nhe, Gül?<<
Gül schlug sich mit der flachen Hand an den Kopf. >>Ach sooo! Tut mir fürchterlich leid! Das hab ich voll vergessen!<< Sie verlor die Balance, ruderte mit den Armen, taumelte und wäre fast rücklings hingefallen, wenn Nella und Stanisław nicht gewesen wären. Die beiden fingen sie nämlich rechtzeitig auf und bewahrten sie so vor dem Sturz.
>>Oh, danke, Leute!<< Gül rappelte sich wieder auf.
Stanisław seufzte. >>Weiter geht's.<<
Die Gruppe lief weiter. (Diesmal ohne unglückliche Zwischenfälle, die wahrscheinlich von Gül verursacht werden.)
Inzwischen waren Midori und Christabel (übrigens mit der Erkenntnis, dass die Blume tatsächlich ein Lilie war) wieder dazugekommen.
Christabel versuchte dauernd, neben Stanisław zu gehen, der aber schon seinen festen Platz zwischen Gül und Nella hatte.
>>Christabel, jetzt geh mal weg! Stanisław hat hier seinen festen Platz!<<, versuchte Gül, Christabel wegzuscheuchen. Natürlich half es nicht und Christabel blieb stur. >>Jetzt lasst mich mal dazwischen! Nella ist ja eh nicht viel an Stanisław gelegen! Also!<<
Stanisław schaute zu Nella. >>So. Soso. Äh... Pff... Dann geh da einfach hin.<<
Christabel drängte Nella weg und lief an ihrer Stelle. Nella ließ sich das nicht gefallen. Christabel hatte sie schamlos und brutal geschubst! Das tat weh! Nella trat ihr absichtlich in die Hacken.
>>Aua! Hör auf, Nella!<<, beschwerte sich Christabel.
>>Dann musst du Platz machen!<<, konterte Nella.
>>Hast du doch!<< Christabel wies auf Gül, die unter einem Baum mit vielen Tauben stand. >>Hello, I'm Baum!<<, sagte die.
>>Geh da sofort wieder weg! Auf dem Baum sitzen Tauben!<<, warnte Stanisław ernst.
>>Warum?<< Gül sah hinauf in die Baumkrone. >>Die sind doch harmlos.<<
>>Ja, die picken dir schon nicht das Kopftuch vom Kopf, aber... Die haben ja auch einen Magen und einen Darm... Also ein Verdauungssystem.<< Stanisław fuhr sich mit der Hand durch die kurzen dunkelbraunen Haare. Sein Gesichtsausdruck blieb weiterhin ernst.
>>Ich verstehe nicht, Stanko!<< Gül breitete erklärend die Arme aus.
>>Achhhhh... Gül! Och Mann. Es gibt auch nicht viele Sachen, die du überhaupt verstehst.<<
Gül machte eine beleidigte Miene. >>Jetzt musst du mich aber küssen! Als Entschädigung für das, was du gesagt hast!<< Sie bot sich ihm an, verließ jedoch ihren Posten unter dem Baum weiterhin nicht.
Stanisław blieb stehen und rührte sich nicht. >>Nein! Ich gehe da nicht hin! Guano-Gefahr! Komm da raus und es geht weiter! Gül, mein Gott!<<
>>Du meinst... Ach, auch egal! Eigentlich nicht egal, aber... gut.<< Gül verzog den Mund und sammelte ein Stöckchen auf. Sie warf es hoch. Das schreckte die Tauben oben auf und sie erledigten gurrend über ihr ihr Geschäft. Gül zog ärgerlich ihr Kopftuch aus. >>Gut, dass ich noch ein Ersatzkopftuch darunter trage!<<
>>Wirklich, das konnte jetzt auch mal wieder nur der guten Gül passieren!<<, schimpfte Stanisław und machte Anstalten, weiterzugehen. Gül kam rasch zu ihm dazu. Die schlechte Stimmung verbot es den anderen, ein neues Thema anzufangen. Christabel würde sich ja gerne darüber aufregen, dass Nella sich wieder vorgedrängelt hatte, aber das ließ sie lieber sein.
Midori las auf ihrem Handy einen Artikel über die Lilie.
Notgezwungen unterhielt sich Laurina leise mit Bert über Kirschen. Bert fand das sehr gut, weil er Kirschen ja für sein Leben gerne aß.
Arvo, Charlotte, Natalie und Erik tummelten sich flüsternd auf einem Haufen. Die waren ja eh immer total abgeschieden.
Eka und Waldo waren bereits wieder auf dem Rückweg ins Haus.
Plötzlich lief die unaufmerksame Gül gegen einen Baum und fiel daraufhin in einen Graben.
Nella, Midori und Christabel lachten laut auf. Laurina, Bert, Charlotte, Arvo, Natalie und Erik stimmten in das Gelächter mit ein.
>>Hello. I'm Baum. Bye. I'm Graben<<, zitierte Nella scherzhaft.
>>Super. I'm Kirsche<<, lachte Bert.
Stanisław zog Gül stumm aus dem Graben.
>>Besser noch: He is a gentleman; rettet Baum<<, bemerkte Christabel.
>>Yes, you hast recht! Voll das kaputte Denglisch übrigens<<, kommentierte Midori.
Stanisław schwieg.
Gül lachte nervös.
Amy kam auf die Gruppe zugerannt. Sie sprintete mit Rekordgeschwindigkeit, schien aber nicht aus der Puste zu kommen. Noch im Laufen rief sie: >>Leute! Leute! Morgen ist wieder eine Disko! Bereitet euch vor!<<
>>Fängt die Disko gleich am Morgen an oder haben wir noch Zeit zum Frühstücken?<<, fragte Bert.
>>Nein, ihr könnt noch in Ruhe frühstücken. ich muss jetzt los<<, sagte Amy und spurtete los.
>>Gehen wir weiter<<, sagte Stanisław leicht ärgerlich und klopfte Gül den Schmutz von der Hose.
Nella setzte sich in Bewegung und steckte sich ein Kaugummi in den Mund.
Die anderen liefen auch weiter.
Die, die weiter hinten waren, nahmen ihre leisen Gespräche wieder auf.
>>Da! Da ist eine Hummel!<<, sagte Midori. >>Die Hummel, auf Latein bombus, ist nicht gefährlich! Oh nein! Sie ist geschwächt! Ich werde ihr helfen! Ich bringe sie jetzt an einen sicheren Ort... Sooo... Schön auf meinem Finger bleiben, kleiner Bombus, ja? Also... Gleich gebe ich ihr eine Lösung aus Wasser und einem halben Teelöffel Zucker, der sich vollständig aufgelöst haben muss, damit das Tier am besten zu sich nehmen kann...<< Sie trug die kleine erschöpfte Hummel schnell weg und verschwand mit ihr im Haus.
>>Sind da noch mehr Hummeln?<<, schrie Gül panisch und fuchtelte mit den Armen. Sie starrte in eine Hecke, weil sich dort die meisten Hummeln herumtrieben.
>>Achtung!<<, rief Stanisław, doch zu spät: Gül war war über einen Ziegelstein gestolpert und zum Glück nur auf den Kiesweg geprallt.
Stanisław verdrehte die Augen, während sie sich mühsam aufrappelte. >>Du müsstest echt ein bisschen besser aufpassen, wenn du nicht den Rest des Wegs solche Unfälle haben willst<<, sagte er.
Gül hatte keinen Schaden genommen, doch zu ihrem großen Unbehagen musste sie sich das Kopftuch neu um den Kopf wickeln.
Nella wandte sich von Gül weg und schaute zu Stanisław, der seine Hände übellaunig in den Hosentaschen vergraben hatte und seine Umgebung musterte, ohne sie richtig wahrzunehmen.
Nella hasste es, wenn Stanisław schlechte Laune hatte. Dann war er auf einmal gar nicht mehr süß und seine Umgebung hatte ebenso schlechte Laune. Irgendwie hing bei dieser Gruppe immer alles von ihm ab. Nella hatte das Gefühl, dass Gül nur dank seiner schlechten Laune so tollpatschig war - und dass Stanisław so schlechte Laune hatte, weil Gül so tollpatschig war. Sie passten einfach nicht mehr! Das war alles ein verflixter, vermaledeiter Teufelskreis, den es zu beenden galt!
Also sprach Nella Stanisław auf eigene Gefahr an. >>Warum ist Rhiannon eigentlich immer mit so vielen zusammen?<<, fragte sie mutig.
Stanisław seufzte und zuckte mit den Schultern. >>Was weiß ich? Keine Ahnung. Ich hab mich nie sehr viel mit ihr beschäftigt...<<
>>Ich befasse mich auch nicht so viel mit ihr. Vielleicht, weil sie eine Zicke ist?<<
>>Sie ist ja eine Zicke, sie ist ja eine Zicke. Aber sie macht halt nicht bei den Zicken mit.<< Stanisław schien insgeheim sehr froh über den Themenwechsel zu sein.
>>Ja, und... ach, egal.<< Nella machte eine wegwerfende Handbewegung.
Stanisław sah sich um. >>Manchmal hab ich das Gefühl, dass ihr das ganze Leben mit diesen Verehrern und Zicken und komischen Frisuren gar nicht gefällt...<<
>>Genau das wollte ich sagen! Ich hab das Gefühl, sie verschweigt etwas!<<
>>Sie ist ja eine Zicke. Die haben viele Geheimnisse. Und Amy versucht, sie herauszufinden und bekanntzugeben.<<
>>Amy. Manchmal frage ich mich, ob sie nicht auch eine Zicke ist.<<
>>Nein, Amy ist keine Zicke. Das kann doch jeder erkennen, wer eine echte Zicke ist und wer nicht... Also außer den Zicken selbst. Die wissen ja selber nichts von ihrer eigenen Zickigkeit und halten sich eben nur für obercool.<<
>>Stimmt, Amy ist keine Zicke.<<
>>Amy ist nur schlau. So eine wie sie wird nämlich von allen gebraucht. Woher sollten wir zum Beispiel sonst wissen, dass morgen eine Disko ist?<< Stanisław schüttelte den Kopf.
>>Stimmt. Ich hab ganz vergessen, dass morgen eine Disko ist. Richtig, das wissen wir von Amy...<<
Stanisław schaute zu Gül. >>Gül würde natürlich total verrückt werden und durchdrehen und ganz viel Chaos anrichten, wenn sie plötzlich verspätet in den Gemeinschaftsraum kommt und wir sehen können, dass alle da eine Disko veranstalten...<<
Nella schaute auch in Güls Richtung. >>Natürlich würde sie ganz viel Chaos anrichten. Gül ist ja so ein Chaosmensch...<<
>>Aber Chaosmenschen werden ja auch gebraucht.<< Während er das sagte, nahm Stanisławs Gesicht einen gequälten Ausdruck an.
Nella schluckte.
Stanisław seufzte und drehte seinen Kopf wieder zu Nella.
>>Gül, Gül, Gül... Äh... Genau, man braucht ja Chaosmenschen<<, stimmte Nella zu.
Stanisław nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. Das stand ihm gar nicht gut. Er ließ seinen Blick über den H P schweifen.
Nella musterte Gül, um herauszufinden, ob sie die beiden belauschte. Sie schien das nicht zu tun. Erleichtert schaute sie wieder zu ihrem Gesprächspartner. Sie lief ein paar Schritte weiter.
Stanisław schaute wissend durch sie durch. Er holte zu ihr auf und war im Begriff, das Gespräch wiederaufzunehmen.
>>Also, wo waren wir stehengeblieben?<<, fragte Nella.
>>Dabei, dass man Chaosmenschen genauso braucht wie die, die nicht chaotisch sind<<, sagte Stanisław. Es klang seltsam und mechanisch und so, als würde er das nicht mit Willen, sondern aus Zwang herausbrigen.
Nella räusperte sich. Die beiden gingen schnellen Schrittes nebeneinander weiter, bis die anderen sie nicht mehr so gut verstehen konnten. Dann brach Stanisław das Schweigen mit gedämpfter Stimme. Er sagte leise: >>Ich verstehe aber nicht, wie ein Chaosmensch so tollpatschig sein kann! Ist das Absicht von Gül? Das ist langsam echt lächerlich!<<
>>Ja, ich weiß auch nicht. Mir kommt das auch sehr verdächtig vor. Aber ich hab Gül ja auch noch nie gemocht.<<
Stanisław warf einen Blick nach hinten. >>Ich schon. Ich mag sie ja auch immer noch. Aber so langsam bin ich nicht mehr so überzeugt davon, ob...<< Er senkte seine Stimme noch mehr: >>Ob ich das immer noch tun sollte.<<
>>Ich hab immer schon dran gezweifelt. Ich will ja nichts sagen, aber ihr passt eben nicht zusammen. Ganz ehrlich!<< Nella breitete erklärend die Arme aus.
Stanisław schlug die Augen nieder. >>Natürlich passen wir, aber... Dadurch, dass Gül andauernd so ungeheuer tollpatschig sein muss, blamiere ich mich! Du merkst das vielleicht nicht, aber das ist wirklich eine große, große Blamage, wenn die Freundin dauernd so tollpatschig ist und sogar noch Angst vor harmlosen Hummeln hat und und und... Ich meine... Du verstehst doch!<< Güls polnischer (noch)Freund warf die Arme hilflos in die Luft.
>>Ich verstehe sehr gut. Ich würde mich auch blamiert fühlen, wenn... jemand, mit dem ich zusammen bin, andauernd lächerlich ist!<<
>>Christabel freut sich natürlich, weil das eine Niederlage für Gül ist, aber mich betrifft dieses Problem ja auch!<< Stanisław machte eine kleine Pause. >>Ich weiß wirklich nicht, was zu tun ist.<<
>>Mach Schluss!<<
>>Nein... Ich bin ja noch... Und so ganz ohne einen Streit oder so? Das wäre Betrug. Jedenfalls würde Gül sich ganz schön betrogen fühlen. Und noch hab ich keinen Grund dazu, Schluss zu machen. Vielleicht gibt sie ihre Tollpatschigkeit ja auch wieder auf.<< Stanisław lächelte, aber es sah mehr gequält als hoffnungsvoll aus.
>>Aber mach lieber Schluss, bevor es noch zu einem Streit kommt! Das wird nicht mehr lange dauern!<<
>>Wenn du redest, hört es sich so an, wie wenn Shun redet. Kennst du ihn?<<
>>Klar kenne ich ihn. Er hat mich auch immer so beraten, wie ich es bei dir tue. Nur jetzt hat er keine Zeit mehr dazu. Er wird ja Mitsuko heiraten, ganz bald.<<
>>Schade. Wirklich schade. Es wäre besser, wenn er dich heiraten würde.<< Stanisławs Gesicht nahm einen Ausdruck an, den Nella nicht deuten konnte. Sie sagte: >>Kann sein. Ich seh' das anders.<<
>>Habt ihr euch gestritten?<<
>>Nein. Aber er heiratet ja Mitsuko.<<
>>Hast du etwas gegen die Hochzeit?<< Wieder lächelte er gequält.
>>Ja, natürlich. Sie wollen sich ja nicht heiraten.<<
Stanisław hielt inne, dann fragte er: >>Hast du ihn geliebt? Oder habt ihr euch geliebt?<<
>>Schwer zu sagen... Hm... Weiß nicht recht...<<
>>Liebt er Mitsuko? Hat er Verrat begangen?<<
>>Ich glaube nicht. Jedenfalls streitet er es immer ab.<<
>>Denkst du, dass er... deine wahre Liebe ist?<< Inzwischen war Stanisławs ganzes Gesicht von dem gequälten Ausdruck, den Nella nicht zu deuten wusste, überzogen.
>>Ich weiß nicht... Ich dachte es auf jeden Fall mal.<<
Stanisław musterte sie. Dann senkte er den Blick und sah so unglaublich gequält aus, dass Nella ganz übel zumute wurde und sie sich in jeder Hinsicht schuldig fühlte. >>Hab ich... irgendwas getan?<<, fragte sie schließlich zögerlich.
>>Ja<<, sagte der arme Stanisław und sah ihr in die Augen. >>Aber reden wir nicht darüber.<<
Nella wusste nicht, was sie sagen sollte. Also ging sie einfach weiter und Stanisław folgte ihr. Inzwischen waren sie fast wieder beim Gebäude angekommen.
>>Ich ess' jetzt was<<, sagte Nella monoton.
Stanisław wartete auf die anderen. Als sie ihn eingeholt hatten, nahm er Gül mit gesenktem Kopf bei der Hand, lächelte gequält, seufzte und ging mit ihr hinein. Als sie drinnen waren, hörte Nella ein lautes Scheppern. Höchstwahrscheinlich hatte Gül etwas umgestoßen. Nella konnte sich gut vorstellen, wie Stanisław die Augen verdrehte.
Sie merkte, dass sie gar keinen Hunger hatte. Trotzdem griff sie nach einem Apfel. Er erinnerte sie an Mitsukos Ameisen-Aktion.
Mitsuko!
Da stand sie und Shun kam auf sie zugerannt. >>Mitsuko!<<, rief er.
>>Was ist?<<, fragte Mitsuko.
>>Mitsuko!<< Shun blieb vor ihr stehen und atmete erst mal durch. Dann sagte er langsam: >>Ich hab's geschafft, Mitsuko. Alles ist erledigt. Mitsuko. Die Eltern haben sich überreden lassen. Matsu war ganz schön auf hundertachzig, aber ich... ich hab sie von der Hochzeit abgebracht. Sie ist abgesagt. Es ist geschafft! Ich hab es geschafft, Mitsuko! Komm, High Five!<< Er streckte den Arm aus und hielt ihr die Hand hin. Mitsuko klatschte ab. Dann begann sie zu lachen. >>Du hast es geschafft. Wir... müssen doch nicht heiraten. Wie gut es doch ist, wenn man noch Hoffnung hat.<<
Shun klopfte ihr fröhlich auf die Schulter, dann sprang er plötzlich wie ein Ninja in die Luft und ließ so seine Freude heraus.
Mitsuko lächelte, doch wenn sie sich nicht irrte, konnte Nella eine Spur Qual in ihrem Lächeln erkennen.
Nella ging zum Abendessen. Als sie dort an dem Tisch saß und darüber nachdachte, dass die Hochzeit abgesagt war, spürte sie einen Stich in der Brust. Und zwar ungefähr dort, wo das Herz war. Ihr Herz. Nellas Herz. Was war nur los? Nella stellte sich dieses Frage, obwohl sie genau wusste, was mit ihr los war.

 

 ****

 Als es soweit war, ging Nella schlafen. Sie hörte sich schluchzen. Aber sie hatte doch gar nicht geschluchzt! Das Schluchzen kam ganz offensichtlich nicht von ihr. Sie hatte nicht geschluchzt. Außerdem war es gar nicht ihre Stimme, die schluchzte. Sie machte die Tür auf und bemerkte, dass auf dem Flur noch Licht brannte. Am Ende des Ganges sah sie Mitsuko auf dem Boden knien... Mitsuko war es, die schluchzte. Als diese Nella bemerkte, rannte sie davon - in ihr Zimmer.
Nella sah ihr hinterher. Dann schloss sie die Tür und legte sich ins Bett.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

14: Abend-Telefonate

Während Nella das Frühstück aß, beriet sich Gül mit Midori. >>Gut, ich hab dieses Haus jetzt gekauft! Danke für deinen Viertelanteil, ...