Als Nella um 6 Uhr aus ihrem Bett kroch, fiel ihr wieder ein, dass heute die Disko war. Aber sie würde sich erst schminken, wenn sie gefrühstückt hatte. Schließlich wollte sie nicht so vorsichting essen müssen.
Beim Frühstück setzte sie sich auf den Stuhl neben Stanisław, der eigentlich Gül zustand, worüber die sich im Gegensatz zu Stanisław auch viel aufregte. Er behielt zu der ganzen Sache ein gleichgültiges Gesicht und lächelte bloß gequält.
Gegenüber von ihr saß Shun zwischen Mitsuko und Rhiannon. >>Nella!<<, sagte Shun. >>Nella! Die Hochzeit ist abgesagt! Toll, nhe?<< Er strahlte über das ganze Gesicht. >>Mitsukos Eltern wissen jetzt die ganze Wahrheit darüber, wie alt ich in Wirklichkeit bin und wie wenig Geld ich habe und wie wenig ich ihnen von Nutzen sein würde. Juhu, wir heiraten nicht! Ich bin ein freier Mensch!<<
Nella reckte die Daumen empor, war mit den Gedanken aber weit weg.
Als die Disko begann, sah Nella sich nach Stanisław um. Er war sehr leicht zu finden, weil er eine graue Sportjacke über einem rot-weißen Trikot trug und verzweifelt gestikulierend auf Gül einschimpfte. Anscheinend benutzte er viele polnische Wörter, denn Gül drehte verständnislos den Kopf.
Nella kam näher, um hören zu können, was sie sagten. Da ging Stanisław auch schon von Gül weg und murmelte: >>Achhhh, Gül! Mein Gott, Jesus Maria!<< Das >sus< von >>Jesus<< sprach er mit scharfem S aus.
Gül fuhr herum und ballte die Faust. >>Jetzt reicht's aber! Allah meinst du!<<, zischte sie. Sie schüttelte den Kopf und ihr Kopftuch wehte.
Inzwischen hatten sich dem jetzt freistehenden Stanisław Vidar und Rhiannon genähert, ohne es zu wissen. Sie sahen aus wie ein Paar.
Was ist nur aus Amira-Parizad geworden?, wunderte sich Nella. Sie beobachtete die beiden, wie Stanisław übrigens auch. Ihm blieb ja schließlich auch nichts anderes übrig, wenn er von ihnen schon so eingeengt wurde.
Vidar und Rhiannon umarmten sich schamlos vor seinen Augen - fast! Denn Rhiannon riss sich aus Vidars Armen und schrie ihn an: >>Lass mich los! Ich will das nicht mehr! Ich liebe dich nicht! Du dummer, dämlicher Deutscher!<<
Vidar starrte sie fassungslos an und ließ seine schlaffen Arme auf die Oberschenkel fallen, dass ein lautes Klatschgeräusch entstand. Er sah dabei tatsächlich sehr dumm aus. >>Hä? Rhiannon! Was ist los? Ich verstehe gar nichts mehr! Hä? Hä?<<
Rhiannon wollte nichts davon hören. Zielstrebig lief sie auf Stanisław zu. >>Stanko! Stanko!<<, rief sie dabei.
Stanisławs Augen weiteten sich erschrocken. Er hob die Arme. >>Rhiannon!<< In so einem Zustand hatte ihn Nella schon lange nicht mehr gesehen. Es war, als hätte sie ihn wieder geohrfeigt. Langsam ließ Stanisław die Arme wieder sinken. >>Rhiannon...<< Er seufzte.
>>Stanko! Ich hab dich nie vergessen! Aber du wolltest nichts von mir wissen!<< Rhiannon griff seine Arme.
Stanisław erschrak. Es war das erste mal, dass dem süßen Stanko die Schuld in die Schuhe geschoben wurde.
Rhiannon fuhr in lautem, schreiendem Tonfall fort: >>Diese dummen, dämlichen anderen; ich dachte, sie helfen mir über die Enttäuschung hinweg! Aber so ist es nie gewesen! Jetzt kann ich nicht mehr, dieses ganze Spiel... Es war alles Quatsch!<< Sie machte eine kurze Pause, in der sich Nella und Vidar hinter sie stellten.
Rhiannon erzählte weiter: >>Du weißt doch, dieses eine Mal, Stanko! Du warst neu hier und sprachst noch kein Deutsch, und ich war die einzige außer meiner faulen Schwester Hope, die fließend englisch konnte, und habe dir dein Zimmer gezeigt! Erinnerst du dich noch? Seitdem hab ich dich immer geliebt, aber du hattest nur Augen für Gül und vielleicht noch Nella und so bin ich auf die falsche Bahn geraten. Ich wollte dich vergessen und habe mir einen Pony geschnitten und mir so alle Verehrer geangelt, aber es half mir nicht... Ich konnte dich nicht vergessen und ich konnte sie alle nicht lieben...<< Sie schluchzte laut auf.
Stanisław sah sie seufzend an, dann schaute er in die Ferne. >>Ja, ich kann mich erinnern. Ich weiß das alles noch. Ich war müde und konnte kein Deutsch und hatte eine lange Reise hinter mir... Ich war einfach froh, dass du englisch kontesst und nett warst. Aber ich wusste nicht, dass du mich lieben würdest, und ich habe dich auch nicht geliebt. Und du hast dich so verändert! Ich wusste nicht, warum. Ich wusste es nicht, ich wusste es nicht! Es wäre tausendmal besser gewesen, wenn ich es gewusst hätte, aber ich wusste es nicht! Ich fand, dass du eines der zickigsten Mädchen warst und habe dich natürlich vergessen... Hätte ich irgendetwas anders machen sollen?<<
Rhiannon schüttelte den Kopf und blinzelte eine Träne weg. >>Ich bin ja auch Schuld daran. Ich hab es dir nie gesagt.<<
Inzwischen war Vidar aufgesprungen und wollte Stanisław verprügeln. >>Du, du, du!<< Er fletschte aggressiv die Zähne und atmete laut. >>Du! Wenn du nicht gewesen wärst, du, du! Du bist an allem Schuld! Rhiannon hätte mich vielleicht geliebt und nicht... und nicht einen dummen dämlichen Deutschen geschimpft, wenn du einfältiger, verlogener, gerupfter Hahn nicht alles vermasselt hättest! Ich habe dich ja nie gemocht, aber... DU! Ich! Werde! Dich! Jetzt! Verprügeln!<< Er begann, Stanisław zu schlagen, zu treten und zu beißen.
>>Stopp, Vidar! Stanko kann nichts dafür<<, versuchte Rhiannon ihn zu beruhigen. >>Und ich hätte dich ohnehin nicht geliebt.<<
Doch Vidar war in seinem Wahn nicht mehr aufzuhalten. Mit schäumendem Mund und verkrampften Fingern holte er aus und kratzte Stanisław eine Narbe in die Wange.
>>Aua!<<, rief Stanisław und stemmte sich gegen Vidar, der damit nicht gerechnet hatte und nach hinten fiel, wo er leider Malwin anrempelte, der gerade mit An redete und hustend auswich. An klopfte ihm auf den Rücken, wodurch er nur noch stärker hustete. Malwin krächzte: >>Alles gut, Vidar! Ich kriege den ersten Magen-Darm!<< Er rannte gefolgt von An aus dem Raum.
Der völlig außer Gefecht gesetzte Vidar kugelte sich auf dem Boden und murmelte wirre Verwünschungen und Flüche.
>>Ich bin Britin<<, sagte Rhiannon leise. >>Vielleicht habe ich andere Gefühle als ihr Deutschen und Polen...<<
>>Wir sind alle gleich!<<, schoss es aus Nella heraus. >>Und Aluna und Amali und Lebron und An, Ling und Amy und Bert und Cecilie und Valeska und Gül und Inci und Amira-Parizad und Magnus und Midori und Shun und Mitsuko auch!<< Sie beschloss, Shun und Mitsuko zu beobachten. Leider musste sie in jedem Raum nach ihnen suchen, bis sie die beiden in dem Lagerraum für Essen fand, einem kleinen, abgeschiedenen, für die meisten unbekannten Kämmerchen neben der Küche. >>Hi Leute! Was treibt ihr hier? Ich hab das ganze Haus nach euch abgesucht!<<
>>Du störst! Geh weg!<<, rief Shun, aber als er sie sah, wurde er netter und sagte: >>Ach so, du bist's. Was ist los?<<
>>Ich will mal hallo sagen. Was macht ihr hier?<<
>>Mitsuko erzählt mir was beziehungsweise will das tun, aber sie ist noch nicht dazu gekommen, weil du dazukommst.<< Shun zwinkerte.
>>Genau! Hau ab!<<, keifte Mitsuko.
Nella wich einen Schritt zurück.
Shun sah Mitsuko an. Er verstand nicht. >>Was is'n los? Ist es so wichtig? Okay. Sorry, Nella. Zu einem späteren Zeitpunkt haben wir wieder Zeit. Bye!<< Er machte die Tür vorsichtig vor Nellas Nase zu. Doch Nella ließ nicht locker. Sie lehnte sich an die Tür und lauschte. Sie konnte hören, wie Mitsuko wieder begann zu schluchzen.
>>Was ist, Mitsuko?<<, fragte Shun irritiert und besorgt. Nella konnte sich sein fragendes Gesicht gut vorstellen.
>>Haben meine Eltern wirklich abgesagt?<<
>>Ja! Ja, Mitsuko! Stell dir das vor! Es schien so unmöglich, aber es ist passiert! Wir hatten aber auch so ein Glück!<<
>>Von wegen!<<
>>Mitsuko!<<
>>Unmöglich! Das muss ein Traum sein!<<
>>Mitsuko! Mitsuko! Was redest du da? Mitsuko! Mitsukooo! Wir haben so hart dafür gekämpft, und zwar sogar richtig gemeinsam, und jetzt faselst du so'n Quatsch? Im Ernst! Das geht doch nicht! Geht es dir eigentlich gut? What's your problem?<<
>>Ja, Shun! Als wir dafür gekämpft haben, sind wir sogar gemeinsam geworden! Als wären wir schon verheiratet und müssten für... irgendwas kämpfen! Ach Shun, ich habe einen großen Fehler gemacht.<<
>>Mitsuko! Mitsuko! Was ist los? Nani ga machigatte iru nodeshou ka?<<
>>Ich will nicht mehr, dass wir nicht verheiratet sind. Ich bin in dich verliebt.<<
>>Was? Mitsuko!!! Ich... Du... Bei Amaterasu! Mitsuko!<<
>>Ja?<<
>>Du... du... Mitsuko! Mitsuko! Mitsuko! Mitsuko! Mitsukomitsukomitsuko! Ich fasse es nicht!<<
>>Shun...<<
>>So eine gemeine Betrügerin und Verräterin und... Ach, was auch immer ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht begegnet! Mitsuko! Das ist so ein schlimmer Verrat, ich könnte mich selber töten! Das ist ein Affront, eine Beleidigung, ein Freundschaftsbruch, ein Verbrechen, einfach ein riesiger, gigantischer, gigantomanischer Skandal! Du bist in mich verliebt! Und das sagst du mir einfach so leichten Herzens geradeso mal heraus, ohne Ankündigung und ganz ohne jeden Pomp... Ich weiß nicht, was ich machen soll.<<
>>Ich auch nicht, Shun. Mit so einer Reaktion von dir hatte ich nicht gerechnet.<<
>>Du bist nicht schlau, du bist nicht mutig, du bist einfach nur die gemeinste und aller-und aller- und aller-aller-allergemeinste Betrügerin und Verräterin auf der ganzen Welt... Ich nehme alles zurück, was ich je zu dir gesagt habe! Ich könnte jetzt sofort aus dem Raum rennen und - Mitsuko!<< Plötzlich begann Shun zu weinen wie ein kleiner Junge.
>>Shun, wein jetzt nicht! Du hast völlig unrecht! Ich bin schlau und mutig und nicht gemein, du genausowenig! Beherrsch dich!<<
Aber Shun weinte einfach weiter.
Shun musste wirklich ein Blitz getroffen haben. Normalerweise rastete er ja nicht einmal aus. Nella entfernte sich von der Tür. Sie ging auf den Außenhof des Gebäudes.
An dem Zaun lehnte Stanisław, der übrigens nicht mehr die Sportjacke und das Trikot, sondern ein T-Shirt trug. Wahrscheinlich war die Disko inzwischen zu Ende.
>>Hi Stanisław!<<, rief Nella.
>>Gutes Wetter heute, nhe?<<, fragte er.
Nella schaute zum wolkenlosen, tiefblauen Sommerhimmel hoch. Es war ein warmer Tag. Stanisław hatte nicht gelogen. >>Ja...<<, stimmte sie abwesend zu.
Stanisław beobachte sie. >>Was ist... los?<<
>>Äh... Nichts! Warum?<<
>>Ich weiß nicht... Du.<<
>>Äh... So... Aha...<<
>>Du verhältst dich echt seltsam.<< Stanisław seufzte. >>Aber du brauchst mir nicht zu sagen, warum. Ich weiß es, glaube ich, selber.<<
>>Meinst du?<< Nella betastete ihre Frisur.
>>Na ja. Vielleicht liege ich ja auch falsch. Sag doch.<<
>>Nein... Wahrscheinlich liegst du schon richtig...<< Nella wollte auf Stanisław zugehen, aber bevor sie das überhaupt tun konnte, stand er schon direkt vor ihr und schüttelte sie an den Schultern. >>Was ist los? Was ist los? Wasistloswasistlos?<<
>>Hör auf, mich zu schütteln wie einen Pflaumenbaum!<<, rief Nella, doch dann lachte sie.
Stanisław hörte nicht auf. >>Natürlich tust du nur so, dass du mir was befehligen willst. Ich hab dich durchschaut. Ich weiß längst, dass du mir sagen willst, was dein Geheimnis ist. Also raus mit der Sprache!<<
>>Ich weiß nicht... Ich will es dir ja sagen, aber... aber...<<
>>Gül ist nicht in Sicht! Außerdem hab ich mich eh mit ihr gestritten und wir... sind jetzt nicht mehr zusammen! Ich hab zwar nicht Schluss gemacht, aber ich weiß es trotzdem! Und sie auch.<<
>>Warum hast du nicht Schluss gemacht?<<
>>Weil ich es gar nicht zu tun brauchte! Aber in Wirklichkeit interessiert dich das nicht. Du willst mich nur ausfragen und auf die Folter spannen, damit du deinen Teil nicht sagen musst. Los!<<
>>Nicht mit Gewalt!<<
Stanisławs Miene verfinsterte sich kurz. >>Ich habe nie in meinem ganzen Leben die Absicht gehabt, Gewalt gegen irgendjemanden anzuwenden.<<
>>Weiß ich doch.<<
>>Aber es geht ja gar nicht um Gewalt oder sowas. Sag!<<
>>Nein! Vielleicht wäre es ja ein Fehler. Außerdem hast du mich sowieso durchschaut.<<
>>Ich bin mir da gar nicht so sicher.<<
>>Wirklich nicht?<<
>>Es kann sein und nicht sein. Also... Hm?<<
>>Hm.<<
>>Hm!<< Stanisław ließ sie los.
Nella schaute sich um.
Stanisław stellte sich neben sie und lehnte sich an die von der scheinenden Sonne gewärmte Wand aus rötlichen Ziegelsteinen.
Nella tat es ihm gleich. Neben ihr wucherte Efeu.
>>Hm?<<, fragte Stanisław wieder. >>Na los!<<
Nella schwieg.
>>Na gut<<, sagte Stanisław nach einer Weile. >>Lassen wir das. Ich erzähle dir lieber was.<<
>>Aha! Dein Hm-Ding, was?<<
>>Nein, natürlich nicht. Das Thema wollen wir ja lassen. Du jedenfalls. Nein! Ich erzähle dir jetzt irgendwas ganz anderes. Wie wär's mit... Danzig! Polen! Polska!<<
>>Danzig...<< Sie verdrehte grinsend die Augen.
>>Ich komme aus Danzig<<, sagte Stanisław ernsthaft. >>Meine Eltern kommen aus Danzig. Ich bin dort geboren. Ich bin auch in Danzig aufgewachsen... Also bevor ich zu... euch kam. Den Heimern. Meine Eltern wollten eigentlich, dass ich dort bleibe, aber...<<
>>Aber?<<
>>Dann ist es eben so gekommen, wie es gekommen ist! Ich bin trotzdem zu den Heimern nach Deutschland gekommen, und jetzt... Jetzt.<< Er kramte sein Handy aus seiner Hosentasche und schaute etwas nach.
Nella versuchte, ihm über die Schulter zu linsen, doch Stanisław zog sein Handy rechtzeitig weg. >>Du hättest sowieso nichts herausfinden können, Nella. Die Nachricht war auf Polnisch.<< Er lachte.
>>Was stand denn da?<<
>>Nichts von Bedeutung. Meine Eltern haben mir geschrieben. Ich sollte... ach was. Noch ist das gar nicht wichtig für dich.<<
>>Aha? Gut... Dann...<<
>>Dann! Endlich sagst du Dann. Dann was? Dann sagst du mir, was du die ganze Zeit vertuschen willst?<<
>>Achhh...<<
>>Das sage ich auch immer! Hm? Hm, hm, hm? Ganz schön hm, nhe?<<
>>Na, das ganze Drumherumgelabere ist doch auch unnötig...<<
>>Finde ich auch. Los! Hier ist doch auch keiner außer... mir.<<
>>Das hat Vidar auch gesagt.<<
>>Fang nicht wieder mit dem Drumherumgelabere an! Du willst es doch selber vermeiden. Also... Bist du's jetzt?<<
Nella nickte stumm.
Stanisław seufzte. >>Wenn Gül nur wüsste... Aber sie wird nie wissen. Sie versteht nicht vieles. Ihr Verstand ist wirklich... begrenzt.<<
>>Wie steht es denn andersrum?<<, fragte Nella plötzlich.
Stanisław beugte sich leicht zu ihr hinunter. >>Schau in den Spiegel.<<
>>Ach so... Okay... Verstehe...<< Sie wich seinem Blick aus, damit er nicht sehen konnte, dass ihr das Blut in die Wangen schoss. Aber Stanisław schien es trotzdem zu sehen und zu akzeptieren. Dann tastete er plötzlich die Hosentasche ab, in der sein Handy war und sein Gesichtsausdruck wurde gequält. Aber nicht so gequält, wie er es gestern gewesen war, als er mit Nella über Gül gesprochen hatte... Anders. Die Angelegenheit mit seinem Handy war ganz anders und sie quälte ihn auf eine andere Weise.
Nella warf einen sorgenvollen Blick auf sein Gesicht. Sein gequälter Ausdruck verhieß nichts gutes.
Als Stanisław eine Weile in seinen Gedanken gestochert hatte, schaute er wieder auf und lief zum Zaun. >>Do widzenia, Nella!<<, sagte er, machte die kleine Holztür auf, die im Zaun verbaut war, damit man in den Außenhof hinein- und hinausgelangen konnte und ging los, wohin auch immer. Als sie ihn nicht mehr sehen konnte, konnte Nella noch seine Stimme hören. Er schien mit jemandem zu telefonieren... Aber sie verstand nicht, was er sagte. Sie ging ins Gebäude. Nella hatte Hunger, weil sie das Mittagessen verpasst hatte. Während sie aß, dachte sie über das nach, was in der letzten Zeit passiert war. Sind wir jetzt eigentlich zusammen?, fragte sie sich. Aber so schnell geht das nicht. Ich bin immer viel zu voreilig.
Als Nella auf ihr Zimmer gehen wollte, stieß sie mit An zusammen, die gerade dabei war, ihre Koffer zu packen. Malwin packte ebenfalls seine Koffer.
>>Komm, An. Unsere Gesundheits-Kur wartet auf unsere Mägen und Därme.<<
>>Die Sonne wird uns sicher echt guttun<<, meinte An. >>Keine Ahnung, ob das bei Magen-Darm hilft, aber auf jeden Fall hat man dadurch ein gutes Gefühl.<<
>>Verreist ihr?<<, fragte Nella.
>>Ja! Wir machen eine Magen-Darm-Kur in Südeuropa!<<, erklärte An. >>Wir haben nämlich die nervige Krankheit Magen-Darm. Echt lästig, übrigens.<<
>>Genau! In diesen mediterranen Gebieten wird man bestimmt gut meditieren können!<<, fügte Malwin hinzu.
>>Ich freu' mich schon echt drauf<<, sagte An.
>>Ja! Meditation tut gut! Ihr Nesthocker müsst das auch mal ausprobieren!<<, versuchte Malwin Nella zu belehren.
>>Außerdem wird es in der Unterkunft, in der wir wohnen werden, immer ruhig sein und wenn man seinen Gedanken nachgehen will, wird man von niemandem gestört. Natürlich geht es dort vor allem um die Gesundheit<<, fuhr An begeistert fort und zwinkerte Malwin zu.
Beim Abendessen fiel Nella auf, dass Gül ihren Kopf mit großem Eifer abwechselnd in eine Broschüre über Immobilien, ein Infoblatt über Deko aus Keramik und einen Flyer über Torten steckte. Midori schaute mit und beriet sie leise. Und ab und zu rückte sie ihre grün-goldene Brille zurecht...
Das Essen, das es gab, war fad und Nella bekam wieder etwas von Amy.
Am späten Abend hörte sich Nella mit Midori, Christabel, Laurina und Bert im Gemeinschaftsraum die Bands an. Heute waren Lapislazuli und Natalya dran. Wenn sie früh fertig wären, würde Eka eventuell auch noch auftreten, aber das stand noch nicht fest.
Plötzlich bemerkte Nella, dass Christabel den Bands keine Beachtung zu schenken schien. Nella beobachtete sie.
>>Was?<<, zischte Christabel.
>>Du glotzt mich die ganze Zeit so an und hörst den Bands gar nicht zu!<<
>>Ja, du weißt aber auch, warum! Jetzt tu bloß nicht so unschuldig!<<
Midori war auf das Gespräch aufmerksam geworden und hörte mit sachlichem Interesse zu.
>>Midori... Musst du jetzt so genau zuhören?<<, fragte Nella nervös-genervt.
>>Ja, muss sie!<<, konterte Christabel.
>>Ist halt interessant! Interessanter als das, was auf der Bühne gesungen wird zumindest... Ich hab das Gefühl, dass Lapislazuli diesen Song jedes Mal singt!<< Midori schaute zur Bühne herüber, auf der sich Thilo, Ora-Magnolia, Lebron und Waldo das Mikrofon teilten.
Christabel sprang auf. Sie schlug Nella auf den Kopf.
>>Aua! Was soll das? Lass das!<<, beschwerte sich Nella.
>>Du Diebin! Ich habe immer dadrauf gewartet, dass Stanisław endlich von Gül ablässt, aber obwohl du ihn noch nicht mal gemocht hast, hast du ihn dir geangelt und mir vor der Nase weggeschnappt! Das nenne ich mal zu Recht gemein! Und das ist noch nett ausgedrückt, glaub mir! Echt!<<
Und so musste Nella mit schlechtem Gewissen und schlechtem Gefühl ins Bett.
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